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Amalie Schneeweiss to Joseph Joachim

[Early February, 1863]

            Ich kann keine Ruhe finden, mein Freund — muß mich wieder setzen um Dir zu schreiben. Was hast Du mit mir angefangen? Ich bin, trotz des unbeschreiblichen Glückes — immer voll Unruhe und habe furcht vor etwas — u. weis nicht vor was! Wäre ich doch nicht von Dir weg. —  Ich will Dir etwas erzählen  — vielleicht beruhigt mich das, und erfahren mußt Dir’s doch. Als Du mich gestern um L. fragtest, konnte ich Dir nicht ruhig antworten — ich will es jetzt thun. — Vor 5 Jahren lernte ich Lewinger, durch Wolf Heurteur, in welcher, wie ich Dir schon sagte, der Verlobte einer recht lieben Freundin von mir war, kennen. Ich war 19 u er kaum 20 Jahre alt. Ich verliebte mich in ihn. Ich habe keinen anderen Ausdruck dafür. Das Gefühl war kein erhabend u. beglückendes —  er gefiel mir sehr gut — war heiter u wir machten zusammen die tollsten Streiche — welche ich Dir wol noch erzählen werde. Dies währte wol über ein Jahr — als ich zu bedenken anfing daß dies eigentlich nicht das ist, was für mich nöthig ist, was ich brauche, will ich  Er mußste wol seblst sehen, daß ich endlich zu der Einsicht kommen würde, hat aber das rechte mittel nicht anwenden können. — Ich hatte durch dieser “Verhältniss” ohne es zu bemerken allmählig meine Freunde verloren — u. stand endlich ganz allein — nur auf den Schutz dieser Menschen angewiesen u. Da Ich — obwol ich fühlte, er kann mir das Glück welches ich Heute nicht gewähren, so wollt ich, aus Stolz oder Trotz nicht zurück u. zwingte mich so, und kämpfte mit mir beinahe 3 Jahre. Er hat mir einst gesagt, wenn ich ihn nicht wahr liebte, würde er sich tödten, u. wirklich hatte ich einmal Mühe zu verhindern, daß er sich nicht umbrachte [sic] — Furcht davor — u. Gott weis was alles! ließen mich einen entscheidenden Schritt nicht thun, und täglich fühlte ich mehr, daß ich so zu Grunde  gehe. —  Vor einem Jahr endlich konnte ich es über mich gewinnen — denn die Zeit war da, wo ich ihn auf immer angehören sollte. Ich sagte ihn damals — ich weiß nicht mehr was — u. er ging. Am Tage meiner Abreise haben wir uns noch einmal gesehen — u. er mich Gebeten ihm zu schreiben. Ich habe es gethan, bis vor kurzer Zeit. Mir thut mein Herz weh, wenn ich denke, daß ich eigentlich mit dem Leben dieses Mannes gespielt habe. Daß ich ihm Schwöre gebrochen — u. wieder geschworen habe. Doch auch tausend Schmerzen habe ich gelitten — u. Jahre meines Lebens in Kummer verbracht. — Ich habe kein Wort — was mich entschuldigen würde — und wenn Du mich nicht mehr lieben kannst, weil ich so abscheulich gewesen, so muß ich es tragen. Ich war fast entschloßen, nie mehr einem Manne zu sagen, daß er mir werth — um mein ganzes Leben als Strafe dafür, einsam zubringen zu müßen — doch wie ich Dich gesehen, wusste ich, nur Du könntest mich wieder gesund machen — und hoffte doch gar nicht, daß Du mich lieben könntest u. wie Du zu mir kamst — u. wie  Du sagtest Du hättest mich lieb — konnte ich nicht widerstehen u. mußte Dir sagen, wie lieb ich Dich habe. Hätte ich es nicht sollen? Ich kann nicht mehr überlesen was ich Dir da geschrieben habe, ist Dir was unklar, so wirst Du mich fragen. —  ich bin nicht ruhig genug — u. vernunftig schreiben zu können. Ich habe heute nach Wien an L. u. seine Mama geschrieben.[1] Ich habe sie gebeten — falls es nötig ist ihn zu trösten. Hoffentlich braucht er keinen Trost. Bis hieher bin ich glücklich gekommen, als ich durch Frau Seyfferth zur Spazierfahrt abgeholt wurde— und erst jetzt — 9 Uhr Abends — konnte ich zu Hause kommen — Was ich geschrieben, weiß ich nicht mehr. Mir war so bange, a. ich war nicht traurig und nun will ich’s Dir doch schicken — ohne es nochmals anzusehen. — Ich bin jetzt wieder ruhig. Freitag bin ich ja bei Dir, und alles ist dann wieder gut. Ich habe mich so gefreut — dass auch hier Dein Name so mit Liebe u. Verehrung ausgesprochen wird obwol die Herren doch ein weinig böse sind dass Du nie kommen willst. Sie sagen die Hofcapellmeister sind stolz. — Seyfferths scheinen recht liebe Leute […] Ich habe von ihrem Wintergarten aus, die Sonne untergehen sehen. — Welche so prächtig u. feurig hinabsank wie auch nie. Tausend Grüße habe ich ihr für Dich gegeben — hat sie sie gebracht? Und gesungen habe ich auch, schöne, liebe Lieder — warum konntest Du sie nicht hören. — Joseph Joachim — ich sage Dir was neues. Ich habe Dich lieb, u. bin Deine Ursi Schneeweiss — weißt’s schon? Die Leute wollen, ich soll noch Freitag hier bleiben, weil ein Ball ist — ich aber bleibe nicht, ich habe ein so häßlich Zimmer bekommen, daß ich froh bin, wenn ich wieder fortkomme  u. dies ist der einzig Grund warum ich schon Freitag früh abreise — Gelt! Liebchen, hast mich Dein noch lieb? Was machst Du heute in Schläfrig Hannover? Du bist ein furchtbar dummes E—chen, daß Du nicht mit mir hieher bist. Herzlieb, mein Brief wird wol gar nicht durchgelesen worden, so lang wird er u. ich machte mich recht viel schreiben aber es ist schon ungezogen. Mein lieber Joseph (Dein Name gefällt mir schon immer beßer) Gut nacht! Ich gebe Dir auch einen lieben Kuß —

u. behalte Dich lieb — Du mich auch?

Gut nacht!

Deine Ursi

Mitwoch

Gelt, das Papier was ich da habe ist recht häßlich u. die Tinte blau u. roth u. der Streusand weiß — aber ich kann nichts dafür.


Published in Robert W. Eshbach: “Verehrter Freund! Liebes Kind! Liebster Jo! Mein einzig Licht. Intimate letters in Brahms’s Freundeskreis,” Die Tonkunst, vol. 2, no. 2 (April, 2008), pp. 186-187.  Holograph in the Newberry Library, Chicago.


[1] This is also undoubtedly the meaning of her words, quoted in Borchard/STIMME, p. 244: “Nun will ich noch einen traurigen Brief nach Wien schreiben — traurig nicht für mich!”