Ferdinand Ritter von Seyfried (ed.), Der Wanderer im Gebiete der Kunst und Wissenschaft, Industrie und Gewerbe, Theater und Geselligkeit, Vol. 33, No. 11 (January 13, 1846), p. 44.

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Concert des Hrn. Joseph Joachim

Vorgestern Mittags im Musikvereinssaale.

Die Ouverture zum “Sommernachtstraum” von Felix Mendelssohn-Bartholdy machte den Anfang. Das ist Musik, klare, schöne, lautere, feenhafte Musik; sie hat mit keinem Krokodill zu Mittag gespeist, sie hat mit Abd-el-Kader nicht Conversation gepflogen, sie hat mit keinem Tiger um die Wette gebrüllt, sie ahmt anderseits keinem Räuspern nach, braucht keine eigenen Musikgelehrten anzustellen, die sie dem Zuhörer verdolmetschen, und keine Herolde, die mit dem Ruf von ihrer Herrlichkeit vor ihr hergehen, und ist doch schön. Das Herz fühlt sich gesättigt und die Seele fühlt sich gehoben und beschwingt, wenn man sie hört; sie versucht nichts Unmögliches und ihr gelingt das Mögliche: sie rührt, sie erquickt, sie bewegt. Hr. Joseph Joachim trug ein Concert für die Violine von Ludwig van Beethoven vor. Von der namenlosen Herrlichkeit dieses Concertes läßt sich nicht reden, denn man findet keine Worte, die sie ganz bezeichnen. Hr. Joachim zeigte schon durch die Wahl dieses Tonwerkes, in welchem Garten er emporgewachsen, durch welche Sonne er gereift; es beweist schon diese Wahl, daß er das Virtuosenthum dem Künstlerthume unterordnet, und daß er zu der Erkenntniß gekommen: die Technik muß dienen, aber sie darf nicht herrschen; er hat bewiesen, daß er es verschmähe, mit beliebten Kunststückchen aufzuwarten, und beim Himmel, er hat Allen, die ihn gehört, wohl gethan, und es ist uns auch nicht entgangen, daß der junge Mann sehr gut sein Instrument zu meistern verstehe, weit besser als viele, die damit ausschließlich prunken; er gab aber auch Beweise von Intelligenz, von Auffassungsfähigkeit, von einem Verständniß, das ihn zum Künstler stämpelt, von einem Verständniß des Beethoven! — Er brachte auch dem herrschenden Geschmack ein kleines Opfer und trug eine Composition von Ferdinand David vor. Geschmack und Eleganze, sowie eine wohlthuende Delicatesse zeigte sich auch beim Vortrag dieses Stückes. Zuletzt trug er die Ciaconna für die Violine allein, componirt von Joh. Sebastian Bach, ein höchst interessantes Musikstück mit bewundernswerther Kraft und Bravour vor. Ich möchte Hrn. Joachim noch mehr loben, allein ich fürchte, man könnte ihn für einen gewöhnlichen Virtuosen halten und das Lob für den gewöhnlichen Gebrauch ansehen. Hr.. Ernst war so lange aufmerksamer Zuhörer Joachim’s, bis er selbst in den Redoutensaal mußte, um dort sein Talent glänzen zu lassen. — Dlle. Treffz sang einige artige Lieder recht artig.

Dr. K.

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