Ferdinand Ritter von Seyfried (ed.), Der Wanderer im Gebiete der Kunst und Wissenschaft, Industrie und Gewerbe, Theater und Geselligkeit, Vol. 33, No. 53 (March 3, 1846), pp. 211-212.
Zweites Concert des Jos. Joachim.
Ehevorgestern um halb 10 Uhr Abends im Musikvereinssaale.
Dieses jungen Künstlers edle und echte Tendenz haben diese Blätter bereits bei Gelegenheit seines ersten vor anderthalb Monaten statt gefundenen Concertes ehrenvoll erwähnt. Auf höchst erfreuliche Weise bethätigte sich dieselbe auch dießmal wieder
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durch die Wahl des schönen Concertes von Felix Mendelssohn-Bartholdy mit Orchesterbegleitung und der Ciaconna von Joh. Sebastian Bach für die Violine allein, außer welchen Werken er sich noch die Introduction und Variationen über ein Originalthema von Ferdinand David zur Aufgabe gestellt hat. Er löste sie aber durchwegs auch auf eine Art und Weise, die nichts zu wünschen übrig ließ und ihm den rauschendsten Beifall, des ungeachtet der fatalen Nachtstunden ziemlich zahlreich versammelten Auditoriums bei jeder Nummer verschaffte.
Seine Intonation in jeder Lage und in den vollgriffigsten Akkorden ist durchgehends die reinste, sein Ton ist sehr kräftig, besonders schmelzend und lieblich im mezza voce, das er vorzüglich zu bilden versteht, seine Bogenführung vollkommen ausgebildet, seine Triller vollendet und die Leichtigkeit und Ungezwungenheit, womit er die größten und compliciertesten technischen Schwierigkeiten überwindet, sind staunenswerth. Was ihn aber außer diesen Eigenschaften, die ihn zum ausgezeichneten Spieler, zum Virtuosen stempeln, in den Augen der Kritik und Kunstkenner noch höher stellt, das ist die Umsicht, der Geschmack, der Tiefblick und die Kenntniß der Kunst, die er mit ihnen trotz seines erst 14jährigen Alters schon im vorzüglichen Grade verbindet, und wodurch er eben sich selbst so wie seinen beiden Mentoren Mendelssohn Bartholdy und Ferdinand David am meisten Ehre macht.
Unterstützt wurde der Concertgeber durch Frl. Betti Bury und einen Herrn Wieselmann. Erstere trug zwei Gesangsnummern und Letzterer eine Arie aus der Oper “Othello” von Rossini sehr beifällig vor. Die Stimme desselben hat mich aber weder durch Wohlklang angesprochen, noch lieferte sein keineswegs ungezwungener Vortrag den Beweis, daß er sich bisher eine so vollkommene Ausbildung seines Talents angelegen seyn ließ, die zum Produziren gerade in einem solchen Concerte berechtigen dürfte. Die Angewöhnung einer deutlicheren Aussprache (ich habe nur durch ein Paar Worte errathen können, daß er deutsch singe) und die Abgewöhnung des immerwährenden Tremolirens wäre ihm besonders zu empfehlen. Eröffnet wurde das Concert durch Mozarts herrliche Titus-Ouverture, welche das Orchesterpersonale des k. k. Hofoperntheaters unter Hrn. Professors Hellmesberger Direction exequirte.
Ferdinand Luib.