M. G. Saphir (ed.), Der Humorist, Vol. 10, No. 53 (March 3, 1846), p. 215.

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Joseph Joachim

hat ehevorgestern, um halb zehn Uhr Abends sein zweites Concert gegeben, eine Stunde, in der die guten Geister der Concerte nicht am thätigsten für den Besuch zu sein pflegen, denn der Gott der Leier ist zugleich der Lenker des Sonnenwagens. Der junge Künstler war aber gezwungen, ein Nacht-Concert zu geben, weil der Saal für Stunden günstiger Concert-Tage nicht mehr zur Verfügung stand. Trotz der ungelegenen Zeit jedoch fand das Concert genügenden Zuspruch, und die Theilnahme für die ausgezeichneten Leistungen des talentreichen Violinisten war die herzlichste und anerkennungsvollste.

Ich habe es schon bei der Besprechung eines früherern Concertes Joachims bemerkt, daß sein in den Geleisen wahrer Kunst sich haltende Richtung, das in dieser Bahn sich entfaltende edle und würdige Streben es vor Allem ist, was uns für den jungen Künstler ein ganz ungewöhnliches Interesse einflößen muß. Auf keinem Instrumente war das Wiedereinlenken in das Gebiet des Gesanges, des Gefühles und des Geistes endlich so nothwendig und erwünscht, als auf der Violine, sollte sie nicht Gefahr laufen, eine gänzliche Umgestaltung ihres Charakters erleiden zu müssen. Freilich hat da die Komposition die Initiative zu ergreifen, denn nicht für den Künstler, sondern für die Kunst soll komponirt werden, und jener wird erst durch diese. Ein solch’ edles, aus Geist und Gemüth hervorgegangenes, und mit der Weihe derselben erfülltes Werk, welches als würdiger Vorläufer einer, den Bravourschlendrian umstürzenden Reform in der Komposition für die Violine gelten kann, ist das Concert von Mendelssohn, welche Joachim als erste Nummer seiner Produktionen gewählt hatte. Anlage, Durchführung und Zweck dieses Tonwerkes sind edel, schön, sinn- und charaktervoll. Joachim trug es mit klassischer Vollendung vor; sein Spiel zeigte Herrschaft über den formellen Theil, Sympatie an der Gefühlsströmung und volles Eingehen in die geistige Beschaffenheit des Tonstückes. Als zweite Nummer hatte Joachim wieder eine Partie Variationen von David und die wunderschöne “Ciaconna” von Bach gewählt. Die Davidschen Kompositionen haben weder innerliche noch äußerliche Eigenschaften, die besonders anregend wären. Es ist ein Juste milieu, daß weder von der cantablen noch von der brillanten Seite Effekt macht, und man kann sagen, daß  der Spieler hier viel nachhalf. Von der “Ciaconna” haben wir bereits früher gesprochen, auch wie meisterhaft sie Joachim vorträgt. Für sämmtliche Vorträge erhielt der geniale jugendliche Künstler die stürmischsten Beweise des Beifalls und wurde sehr oft gerufen. Zwischennummern des Concertes waren zwei Lieder von Nicolai und Dessauer, welche Dlle. Bury mit Wärme vortrug, und eine Arie aus “Othello,” die Hr. Wieselmann sang. Derselbe hat eine starke Stimme, an welcher bei gehöriger Bildung viel werden könnte, jetze ist es aber die liebe Natur, und zwar nicht in ihrem reizenden Wesen. Solche Arien sollten Anfänger nicht öffentlich singen

H—r.

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