Blätter für Theater, Musik u. Kunst, Vol. 7, No. 20 (Friday, 8 March, 1861), p. 78.
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Letztes Concert Joachim’s
Aus dem Umstande, daß dieses Concert alle Räume des großen Redoutensaales mit Zuhörern füllte, ergab sich das unzweifelhafte Interesse, welches das musikalische Publicum Wiens den Leistungen dieses vorzüglichen Künstlers zollt, und welches er in der That vollauf verdient. Wenn wir auch glauben, daß sein Ruf nicht weniger als sein Spiel dazu beitrugen, Hrn. Joachim hier so außergewöhnlich en vogue zu bringen, so bleibt es doch immer eine höchst erfreuliche, den geläuterten Kunstgeschmack des Publicums bekundende Erscheinung, daß es für die so vorwiegend objektive, so wenig äußerlicher Reizmittel sich bedienende Spielweise dieses Künstlers ein so überaus warmes Interesse an den Tag legt. Das Verschmähen aller sogenannten Virtuosenkunststücke, die reine, keusche Reproduction der Kunstwerke stempelt Hrn. Joachim zum echten Künstler und man darf sich aufrichtig eines Publicums freuen, das einen solchen Standpunct zu würdigen versteht. Von seinen dießmaligen Leistungen hat der Alleinvortrag eines Bach’schen Präludiums mit Fuge die zündendste Wirkung hervorgebracht. Eine vollendetere Ausführung dieses Polyphonismus, eine großartigere Auffassung des Stils ist in der That nicht denkbar, wie denn überhaupt das Bachspiel Joachim’s eine Specialität ist, in der er ganz bestimmt ohne Rivalen dasteht. Gab auch die wiederholte Vorführung seines “ungarischen Concerts” Gelegenheit, die kolossale Spieltechnik zu bewundern, so machte doch die Composition, eben so wie das erste Mal, keinen sonderlich befriedigenden Eindruck. Mendelssohn’s Concert, von dessen Auffassung wir uns zumal hinsichtlich des Pathetischen Großartiges versprachen, brachte nicht die gehoffte Wirkung hervor. Aus dem rapiden Tempo, in welchem Hr. Joachim alle Sätze, zumal den ersten nahm, wie aus der kühlen Vornehmheit, mit der er die meisten Gesangstellen gleichsam de haut en bas behandelte, schien uns ein gewisser Mangel von tieferer Sympathie des Künstlers für die Composition hervorzuleuchten, der vielleicht auch seinen Grund in der geringen Mühe sucht, welche ihm die technische Ueberwindung dieses Werkes bietet. Ja diese Gleichgiltigkeit ging zuweilen so weit, daß Hr. Joachim es auch manchmal, besonders in den höhern Lagen, an der an ihm so sehr gewohnten haarscharfen Intonationsreinheit fehlen ließ. Der Glanzmoment dieser Leistung war jedenfalls die Kadenz, mit deren energischer Auffassung wir vollkommen übereinstimmen. Einen etwas befremdenden Eindruck machte es, daß Hr. Joachim, als er nach der Bach’schen Fuge wiederholt gerufen, die Chaconne zu spielen begann, seinen Vortrag nach acht oder zehn Tacten plötzlich unterbrach und abtrat, ohne dazu etwa durch das Reißen einer Saite veranlasst worden zu sein. Eine Entschuldigung oder Aufklärung wäre nicht unschicklich gewesen. Die die Zwischenpausen ausfüllenden Liedervorträge des Hrn. Gunz (er sang von Rubinstein und Esser) fanden vielen Beifall. Hr. Kapellmeister Dessoff dirigirte mit Umsicht das Orchester, das zum Beginne des Concerts die “Coriolan” Ouvertüre präcis aufführte.
Z.
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