Blätter für Theater, Musik u. Kunst, Vol, 7, No. 13 (February 12, 1861), p. 49 [English translation below © Robert W. Eshbach, 2023]


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Concerte.
Joachim.

Unter allen großen Geigern der Gegenwart, welchen Joachim unbedingt zuzuzählen ist, hat dieser am längsten gezögert, sich in Wien hören zu lassen. Trotz des vollkommen begründeten Bewußtseins seiner außerordentlichen Leistungsfähigkeit mochte eine geheime Stimme ihm zuflüstern, daß es in seinem Kunstvermögen einen Punct gebe, der an die Forderung des Wiener Publicums nicht hinanreicht. War diese Besorgniß der Grund, der ihn bestimmte, seinen oft kundgegebenen Vorsatz, nach Wien zu kommen, eben so oft zu verschieben, so dürfte auch die merkbare Befangenheit, die sein Spiel, zu Anfang wenigstens, verrieth, aus derselben Quelle geflossen sein.

Das Wiener Kunstpublicum ist vorwiegend sinnlich, wenngleich der Geistigkeit nicht unzugänglich. Es verlangt kräftige Emotionen, will von der Kunst leidenschaftlich aufgeregt werden. Es hat durch den reichen Beifall, den es den Leistungen des Hrn. Joachim rückhaltslos spendete, bewiesen, daß es die großen Eigenschaften dieses Künstlers, in so streng objective Fassung sie sich auch geben mögen, vollauf zu würdigen verstehe. Zu dem Beifall der Bewunderung würde sich aber auch der Jubel des Entzückens gesellt haben, wenn es Hrn. Joachim gelungen ware, in seinen Vortrag die Glut subjectiver Empfindung zu legen.

Ohne Frage beherrscht Hr. Joachim seine Kunst als vollendeter Meister. Er beherrscht sie, das dürfte der richtige Ausdruck sein, er hat sich sie völlig unterthan gemacht, sie ist seine Sclavin. Sie gehorcht ihm auf’s unfehlbarste; mehr aber leistet sie nicht. Man muß die Kunst lieben, als Geliebte umfassen, sich ihr mit ganzer Seele hingeben, dann, aber nur dann, jauchzt und jubelt sie mit dem Künstler. In diesem Verhältnisse scheint Hr. Joachim zu seiner Muse nicht zu stehen. Die Macht, mit der er sie an sich gefesselt, geht nicht vom Herzen, sondern vom Verstande aus. Er fühlt nicht, er denkt in Tönen, er repräsentirt, wenn man so sagen darf, die Philosophie des Violinspiels.

An Sicherheit, an Durchbildung der Technik steht Hr. Joachim mindestens keinem der jetzt lebenden Violinspieler nach, wenn er sie nicht alle übertrifft. Hinsichtlich der Eleganz und Lebhaftigkeit des Ausdrucks reicht er jedoch weder an Hellmesberger, noch bezüglich der Wärme und Intensität der Betonung an Vieuxtemps hinan. Sein Ton ist edel, kräftig, markig, seine Intonation die Unfehlbarkeit selbst, weder sein Bogen noch sein Fingerspiel kennen eine Schwierigkeit, die zu überwinden ihnen nicht bloß ein Spiel ware, seine Auffassung ist würdevoll bis zur Erhabenheit, durchdacht bis zum Tiefsinne, keusch und rein. Und so wie jede der unzähligen, unaufzählbaren Einzelheiten seines Spiels zur unbedingten Bewunderung nöthigt, so zwingt sein Spiel überhaupt zur höchstmöglichen Anerkennung, aber — es zündet nicht.

Hr. Joachim genießt in Norddeutschland den Ruf, im Vortrage des Beethoven’schen Concerts unübertroffen dazustehen. Möglich, daß wir hiernach unsere ERwartungen zu hoch gespannt hatten, möglich, daß der Künstler, der seine Production mit dieser Composition eröffnete, thatsächlich befangen war. Sollen wir aber nach dem Vernommenen urtheilen, so gestehen wir, dieses Stück von andern Virtuosen, wie Vieuxtemps, Laub, Hellmesberger, ja selbst von Singer nicht minder gut vortragen gehört zu haben. Eine neue, noch nicht gekannte Auffassung erschloß sich uns aus seiner Darstellung dieses Kunstwerkes wenigstens nicht. Auch bezüglich des Spohr’schen Adagio’s in C, welches er als zweite Nummer spielte, ließe sich kaum behaupten, daß es nicht mit mehr Innerlichkeit und Gefühlsanmuth wiederzugeben ware. Hingegen stehen wir nicht an, zuzugeben, daß die Art und Weise, wie Hr. Joachim Tartini’s “Teufelssonate”, namentlich den zweiten und letzten Satz, auffaßt und technisch wiedergibt, bisher ohne Beispiel war, und schwerlich zu erreichen sein dürfte. Ganz abgesehen von der Virtuosität der Streicharten, der Verzierungen, insbesondere der wie Raketenbrände prasselnden Pralltriller, liegt in der Auffassung und Betonung des Künstlers eine Kraft der Plastik, die das Stück gleichsam in Erz gegossen erscheinen läßt.

Einen großen Theil des guten Eindrucks, den Hr. Joachim mit seinem Spiele hervorbrachte, beeinträchtigten die von ihm componirten Cadenzen, die er sowohl in das Beethoven’sche Concert, wie auch in die Sonate, hier principiell unpassend, eingelegt hatte. Nebsstdem daß diese Cadenzen, zumal jene zum Concerte, an sich nicht bedeutend, ja vermöge ihrer chromatisch-harmonisierenden und vorwiegend accordlichen Structur nicht einmal effectvoll für das Instrument sind, weichen sie im Style so merklich von jenen des Concertes ab, daß man völlig aus der Stimmung geworfen wird. Einer, trotz der Wahrnehmung einzelner minder leuchtender Puncte, im Großen und Ganzen nichtsdestoweniger so hochbedeutenden Erscheinung gegenüber, wie sie Hr. Joachim unter allen Umständen ist und bleibt, darf ein nach einmaligem Anhören geschöpftes Urtheil dem empfangenen Eindrucke gemäß, wenngleich offen und freimüthig, doch nicht ohne Vorbehalt späterer Modificationen ausgesprochen werden. Es sollen daher mit dem Gesagten die Acten keineswegs geschlossen sein, ja es wird uns im Gegentheile sehr angenehm sein, wenn uns Hr. Joachim durch seine folgenden Leistungen zu dem Geständnisse bemüssigt, daß es nicht an seinem Spiele, sondern an unserer dießmaligen, vielleicht nicht entsprechenden Stimmung gelegen gewesen sei, jenem die Wärme abzusprechen, für das wir möglicher Weise gerade nicht die rechte und volle Empfänglichkeit mitbrachten.

Das Concert hatte ein überaus zahlreiches und höchst gewähltes Publicum versammelt und gewärte überdieß ein besonderes Interesse durch die Anwesenheit der Koryphäen des Violinspiels, wie Ernst, Mayseder, Böhm, Hellmesberger. Hr. Joachim wurde nach jeder Piece wiederholt gerufen. Die Begleitung des Hofopernorchesters unter Hrn. Dessoff’s Leitung ließ nichts zu wünschen übrig. Alles hingegen der Gesang eines die Zwischenpausen füllenden Fräuleins, das außer einer kräftigen und umfangreichen Stimme weder so viel technische noch musikalische Bildung besitzt, um mehr als dilettantischen Ansprüchen genügen zu können. Es sieht doch wahrhaftig traurig um die Gesangslehrer Wiens aus; seit zwölf Jahren haben sie nichts als Mittelmäßigkeiten zu Tag gefzuordert. An Stimmen ist kein Mangel. Fehlt es nun an Talenten, oder, was wahrscheinlicher, am Unterrichte? —

Z.

[Leopold Alexander Zellner]


Concerts.
Joachim.

Among all the great violinists of the present, to whom he undoubtedly belongs, Joachim has hesitated the longest to be heard in Vienna. In spite of the fully grounded awareness of his extraordinary ability, a secret voice may have whispered to him that there was a point in his artistic abilities that did not measure up to the demands of the Viennese audience. If this concern was the reason that led him to repeatedly postpone his oft-declared intention of coming to Vienna, then the noticeable uneasiness that his playing revealed, at least initially, may have originated from the same source.

The Viennese art-audience is predominantly sensual, although not impervious to intellectual pursuits. It craves powerful emotions and seeks to be passionately stirred by art. Through the rich applause that it wholeheartedly bestowed upon Mr. Joachim’s performances, it proved that it knows how to fully appreciate the great qualities of this artist, no matter how strictly objective they may appear. However, the applause of admiration would have been joined by the exultation of delight if Herr Joachim had succeeded in infusing his interpretation with the fervor of subjective sentiment.

Undoubtedly, Mr. Joachim masters his art as a consummate maestro. He masters it — that is the correct expression; he has completely subjugated it: it is his slave. It obeys him infallibly, but it does not do more. One must love art, embrace it as a beloved, surrender oneself to it with all one’s soul, and then, and only then, does it exult and rejoice with the artist. In this relationship, Herr Joachim does not seem to stand with his muse. The power with which he has bound her to himself does not come from the heart but from the intellect. He does not feel, he thinks in tones; he represents, if one may say so, the philosophy of violin playing.

In technical security and mastery, Herr Joachim is at least on par with any living violinist, if he does not surpass them all. However, in elegance and liveliness of expression, he does not reach the level of Hellmesberger, nor does he ascend to the level of Vieuxtemps in warmth and intensity of emphasis. His tone is noble, powerful, and resonant; his intonation is flawless. Neither his bow nor his fingerwork encounter any difficulty that is more than a plaything for them to overcome. His interpretation is dignified to the point of sublimity, thoughtful to the depths of profoundness, chaste and pure. And just as each of the innumerable, indescribable details of his playing commands absolute admiration, his overall performance compels the highest possible recognition, but — it does not ignite.

Herr Joachim enjoys a reputation in northern Germany for being unrivaled in his performance of Beethoven’s concerto. It is possible that our expectations were set too high as a result, and it is also possible that the artist who opened his program with this composition was indeed somewhat reserved. However, based on what we have heard, we must admit that we have heard other virtuosos, such as Vieuxtemps, Laub, Hellmesberger, and even Singer, perform this piece equally well. His interpretation of this masterpiece did not reveal a new and previously unknown perspective to us, at least. Similarly, in regards to Spohr’s Adagio in C, which he played as the second piece, it would be difficult to argue that it could not be rendered with more inner depth and emotional charm. However, we do not hesitate to admit that the way Herr Joachim approaches and technically performs Tartini’s “Devil’s Trill Sonata,” particularly the second and final movements, was unprecedented and is unlikely to be equalled. Apart from the virtuosity of his bowing techniques and embellishments, especially the rapid-fire trills that shimmer like fireworks, the artist’s interpretation and emphasis possess a sculptural power that makes the piece appear as if it were cast in bronze.

A large part of the positive impression created by Herr Joachim’s performance was diminished by the cadenzas he composed and inserted into both the Beethoven concerto and the sonata, which were fundamentally inappropriate. Not only are these cadenzas, particularly those in the concerto, not remarkable in themselves, but their chromatic harmonization and predominantly chordal structure do not effectively showcase the instrument. Furthermore, they deviate so noticeably in style from the concerto that one is completely thrown out of mood. Confronted with such a prominent figure, despite the observation of certain less brilliant aspects, and considering the overall significance of Herr Joachim’s presence, a judgment formed after a single hearing should be expressed in accordance with the impression received, albeit openly and candidly, while leaving room for later modifications. Therefore, with the aforementioned remarks, the matter is by no means concluded. On the contrary, it would be quite pleasing if Herr Joachim’s subsequent performances compelled us to acknowledge that any lack of warmth was not due to his playing, but rather to our own current, perhaps inadequate, state of mind, which may have hindered us from fully appreciating it.

The concert gathered an extremely large and highly distinguished audience, and it held a particular interest due to the presence of violin virtuosos such as Ernst, Mayseder, Böhm, and Hellmesberger. Mr. Joachim was called back after each piece. The accompaniment by the Court Opera Orchestra, under the direction of Mr. Dessoff, left nothing to be desired. However, the singing of a young lady filling the intermissions was a different story. Despite possessing a strong  voice with a good range, she lacked both the technical and musical education to satisfy more than amateurish demands. It is truly disheartening for the singing teachers of Vienna; for twelve years, they have produced nothing but mediocrity. There is no shortage of voices. So, is it a lack of talent, or more likely, a lack of instruction?—

Z.

[Leopold Alexander Zellner]


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Blätter für Theater Vienna 12 Feb. 1861 copy