PPN: PPN845635433
PURL: http://resolver.staatsbibliothek-berlin.de/SBB0001C1F000000000
Titel: Brief an Hermann Härtel : 01.03.1855
Ort: Danzig
Entstehungsjahr: 1855
Kalliope-Nummer: 01634531
Signatur: Mus. Slg. Härtel 128
Kategorie: Musik,Nachlässe und Autographe
Projekt: Nachlässe und Autographe digital
Strukturtyp: manuscript
Hermann Härtel (*1803 — †1875) Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Inv. Nr. Porträt K 20
Joseph Joachim to Hermann Härtel
Danzig am 1ten März
1855
Verehrter Freund
Der Brief, den Sie an Frau Schumann zuletzt
geschrieben haben, enthält so vieles Gütige
auch für mich, daß ich wohl an der geehrten
Freundin Statt einmal antworten darf.
Zuerst also soll ich mittheilen daß wir
als Concertgeber freundlichsten dank sagen
für die Liebenswürdigkeit mit der Sie
sich unseres Vorhabens angenommen
haben! Es ist Frau Schumann indeß ganz
erwünscht, das Concert auf eine gelege=
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nere Zeit hinauszuschieben, und was
mich betrifft, so ist es mir lieb vor
dem 1ten April nicht nochmals einen Klei=
nen Urlaub zu erbitten, (was zu dem Leipziger
Concert geschehen müßte) da des Königs Gnade
mir von diesem Zeitpunkt an auf andert=
halb Jahre ganz freies Schalten über
meinen Aufenthalt gönnen will, ohne mir
die Vortheile einer Anstellung zu entzie=
hen. Sie sehen, daß es uns nun recht
leicht werden wird, unser Versprechen bei
Ihnen einen Abend zu musiciren, auf
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deßen Ausführung wir nicht verzichten, später
zu erfüllen, und ich brauche wohl nicht
erst zu versichern, wie sehr ich mich
darauf freue meine Leipziger Freunde
einmal auf einige Zeit ungestört
zu besuchen. Was nun das Concert
angelangt, so bitte ich Sie, recht aufrichtig
Ihre Meinung zu sagen, ob es etwa
in April noch gegeben werden könnte,
mit befriedigendem Erfolg? Meinen
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Sie vorläufig daß das möglich sei, so können
wir ja das Datum und alles Uebrige
später noch bestimmen. Sie haben wohl
die Güte, bald einige Worte darüber
an Frau Schumann oder an mich zu richten.
Vom 9ten März an werde ich wieder
in Hannover sein. Gestern haben wir
hier in Danzig ein Concert gegeben,
dem am nächsten Montag ein zweites
folgt. Der Aufenthalt in der eigenthüm=
lich gebauten Stadt ist recht angenehm!
Mit freundlichstem Gruß
verehrungsvoll
Joseph Joachim
Angelegentliche Grüße von Frau Schumann und mir an die verehrten Ihrigen,
auch an die Familien Preusser und Frege
PPN: PPN875844308
PURL: http://resolver.staatsbibliothek-berlin.de/SBB0001EE3F00000000
Titel: Brief an Woldemar Bargiel : 17.11.1855
Ort: [Berlin]
Entstehungsjahr: 1855
Kalliope-Nummer: 01483515
Signatur: 55 Nachl 59/B,137
Kategorie: Musik,Nachlässe und Autographe
Projekt: Nachlässe und Autographe digital
Strukturtyp: manuscript
Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0 International
Joseph Joachim to Woldemar Bargiel
Lieber Bargiel
Deine Schwester läßt dich
benachrichtigen, daß wir Sonntag
Abend wieder in Berlin ein=
treffen werden. Auch Brahms
wird dann noch eine Nacht
bei dir campiren um andern
Tags nach Bremen wieder
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zu fahern.
Programmen und Publikum
waren hier gut.
Die Vorschläge aus Breslau
sind nicht lockend [?] Wir
sprechen bald darüber.
Hermann Härtel (*1803 — †1875) Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Inv. Nr. Porträt K 20
Joseph Joachim to Hermann Härtel
Hannover, am 25sten Obr 1853
Verehrter Freund!
Die versprochene genaue Angabe der
Concert=Tag in Hannover kann ich Ihnen
nun endlich beiliegend schicken, damit
Sie in Uebereinstimmung damit einen
für mein Spielen im Gewandhaus passen=
den Tag wählen helfen. Ich würde
am liebsten im Monat März zu
Ihnen kommen, stehe indeß der ver=
ehrten Concert=Direktion gerne
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auf zu einem andern Zeit nach Neu= jahr zur disposition, falls es
erwünschter ist. Natürlich möchte
ich es gerne so einrichten bei der
Gelegenheit mehrere Tage in Leipzig
zuzubringen; es ist allzulange
daß ich meine dortige Freunde
nicht besucht habe, und ich möch=
te mich diesmal ein wenig dafür
entschädigen.
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Und nun noch eine Frage, die ich
indeß nur Thun kann, wenn Sie mir, bevor
Sie dieselbe gelesen haben, im Stillen
geloben, ohne jede Beimischung von
Freundes=Wohlwollen darauf zu antwor=
ten; ich würde Sie aber nicht Thun, wenn
ich nicht meinte , daß freundschaftliche
Beziehungen in ähnlichen Fällen gera=
de die rücksichtloseste Aufrichtigkeit
nur erleichtern müßten. Ich nehme
an, Sie stimmen mir bei, und darf
nun also wohl ruhig fragen-
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ob die Herren Breitkof und Haertel
geneigt wären: das längst erwartete Concert (1 Satz mit Orchester und Klavier=
Auszug, der zugleich als kleine Parti=
tur mit genauer Angabe der verschiedenen
Instrumenten=Eintritte) dienen müßte)
eine Ouverture zu Hamlet (in Parti=
tur und Orchester=Stimmen) und ein Heft
Violinstücke mit Klavier=Begleitung in
baldiger Aufeinanderfoge als meine
Opera 3, 4 und 5 zu drucken?
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Können Sie die Frage mit gutem
Gewißen bejahen, so will ich dafür
sorgen, daß Sie die Sachen bald
erhalten, und es wird die Freude,
dieselben herausgeben zu können
dadurch vergrößert werden, daß
sie in Ihrem Verlag erscheinen
sollen, aus dem schon so viele
meiner Lieblingswerke hervorgegan=
gen sind. Ist die Herausgabe
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nicht möglich, so entschuldigen Sie
die Zeit, welche die Anfrage Ihnen
geraubt.
Einer gütigen Antwort entgegen=
sehend, verbleibe ich mit den
herzlichsten Empfehlungen für
Sie und Ihre verehrte Familie
in aufrichtiger Ergebenheit
Neue Zeitschrift für Musik, vol. 35, no. 26 (December 26, 1851): 285-286.
Wir gehen einstweilen zu einem erfreulichen Gegenstande über, dem vorzüglichen Kunstgenuß, welcher uns durch eine Reihe seit zwei Jahren entbehrter Quartettabende geboten wurde. Der seltene Verein von vier, jedes in seiner Art, ausgezeichneten Talenten, unterstützt von einem auf den belebenden Einfluß unseres nicht genug zu schätzenden Joachim gegründeten, seit lange im Privatkreise sorgsam gepflegten und polirten Ensemble, berecthigte uns freilich auch zu Erwartungen ungewöhnlicher Art.
Daß Joachim einer der ersten lebenden Geiger ist, daß sein voller und dabei so durchsichtiger in Ton, seine meisterhafte Technik, welche seit vielen Jahren schon keine Schwierigkeiten mehr kennt, seine echt künstlerische und geniale Auffassung der verschiedensten Tonsetzer ihn wahrscheinlich noch höheren Ausprüchen berechtigen, ist bekannt; Coßmann’s Spiel zeichnet sich vor dem aller anderen Violoncellisten dadurch aus, daß er seine große Virtuosität, seinen geschmackvollen, eleganten Vortrag nie zu der wahren Kunst fremden Nebenzwecken mißbraucht, daß er in der Beherrschung des Instrumentes z. B. Rietz, an künstlerischem Geiste Servais weit übertrifft. H. Stöhr ist als Violinspieler und Componist leider nicht so allgemein bekannt, als er es verdient. Eine gewisse
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unerklärliche Befangenheit beim Solovortrag — ähnlich der, an welcher Henselt litt, — hat ihn verhindert, seine vorzüglichen Eigenschaften vor der größeren Oeffentlichkeit zur Geltung zu bringen; in den Stücken mit Clavierbegleitung, wo er erste Geige spielte, verschaffen sie sich anerkennende Bewunderung. Hr. Stör ist jetzt an des pensionirten Eberwein Stelle Musikdirector geworden. In allen Gebieten des Orchesters zu Hause, mit frischem, regem Eifer, edlem künstlerischem Streben begabt, wie er ist, hat er uns in seiner Antrittsdirection der “Preziosa” zu erfreulichen Hoffnungen berechtigt. Hr. Walbrül (Bratsche) ist ebenfalls ein tüchtiger Künstler, der durch seine vielseitigen Talente mehr als einen Platz ausfüllt. Im Orchester fungiert er bei der Violine und bei den neueren Opern, z. B. den Wagner’schen, als Baßclarinettist. Er leistet das Rühmlichste in allen diesen Fächern; in dem letzteren namentlich sind wir ihm nicht am wenigsten Dank schuldig, da in mehreren auf ihr Orchester sehr eingebildeten Städten noch heute das unedle Fagott die herrliche Baßclarinette ersetzn muß. — Rechnet man zu diesem Ensemble noch die geistige Mitwirkung Franz Liszts, die wir auf die Gefahr hin hierorts der Indiscretion beschuldigt zu werden, nicht umhin können zu erwähnen, da die hohe Intelligenz des Meisters dem Ganzen eine Feinheit der Nüancirung verleiht, welche, wenn auch der Laie von ihrer Qualität sich keine bestimmte Rechenschaft geben kann, doch so wichtig für die Totalwirkung ist, so wird man uns nicht der Uebertreibung anklagen, wenn wir sagen, daß die Weimar’schen diesjährigen Quartettabende etwas Exceptionelles bieten, was nicht leicht oder vielmehr gar nicht anderwärts gefunden werden dürfte. Die vortreffliche Auswahl des Programmes geht Hand in Hand mit der vollendeten Ausführung. Die erste Soirée (18 Nov.) brachte uns mit schuldiger Rücksicht auf das Herkommen Quartett von Haydn, B=Dur, das gesangreiche G=Moll Quartett von Mozart und das F=Dur Quartett von Beethoven (Op. 59, Nr. 1). Am 9ten December hörten wir eine treffliche Zusammenstellung moderner Meisterwerke: das Schubert’sche D=Moll Quartet, das Schumann’sche Clavierquintett in Es=Dur — der Clavierpart wurde von Hrn. V. Bülow, Schüler Liszt’s, wie es schien mit Liebe zur Sache und der Aufgabe gewachsenen Kräften ausgeführt — und das Octett von Mendelssohn. Der Abend des 16ten December brachte Gade’s G=Moll Quintett, ein recht schönes, aber etwas nordisch=monotones Werk, Mendelssohn’s G=Moll Trio von dem jungen trefflichen Clavierspieler Winterberger, der, seitdem er nach Weimar in Liszt’s Schule gekommen ist, ein ausgezeichneter Pianist zu werden verspricht, und Beethoven’s F=Moll Quartett, Op. 95 diese gedrängte Emanation des herrlichen Genius aus einem Gusse. Für den 30sten Decbr., die letzte Soirée, stehen uns drei Beethoven’sche Quartette aus seinen verschiedenen Schöpfungsperioden bevor, das A=Dur Quartett (Op. 18) das sogenannte Harfenquartett aus Es=Dur (Op. 74) und das große Eis=Moll Quartett (Op. 131). Das für die Geschmacksläuterung des Publikums so wohlthätige Werk findet allgemeinen Anklang, ungeachtet der ziemlich hohen aber angemessenen Eintrittspreise. Daß dies der Fall, haben wir dem Kunstsinn des Hofes, d. h. der großherzoglichen Familie zu danken, deren sämmtliche Glieder bis jetzt jedes Mal vom ersten bis letzten Tone mit wahrer Andacht zugehört haben, eine so seltene Erscheinung, daß wir auch keinen Anstand nehmen, — honny soit qui mal y pense — die Achtung auszusprechen, welche und diese anspruchslose Mäcenasschaft einflößt, in einer Zeit, wo das Gedeihen der Kunst auf naturwüchsigem Wege aus dem Volke heraus, leider zu den Unmöglichkeiten gehört.
Das Hinscheiden Joseph Joachims bedeutet für die “Königl. akademische Hochschule für Musik” zu Berlin=Charlottenburg einen unersetzlichen Verlust. In meinem Abriß der Geschichte dieser Hochschule (“Neue Musik=Zeitung”, 16. August 1906) bemerkte ich bereits, daß sie sich fast ganz mit der Biographie Joachims decke. Dem großen Meister, der seit ihrer Begründung an der Spitze der Hochschule stand, verdankt sie einzig und allein ihren Weltruf, ihren Rang in der Kunstgeschichte. Wohl finden sich in der langen Liste der Lehrer seit Bestehens der Anstalt noch manche glänzende Namen (z. B. Kiel, Spitta), aber kein einziger dessen Nennung eine solche faszinierende Wirkung, einen solchen Enthusiasmus erregte wie der Joseph Joachims! Wagner und Liszt waren die Schöpfer des künstlerischen, stilgemäßen Vortrages in der Musik, Bülow und Joachim ihre Apostel. Anton Rubinstein, der gleichfalls zu den Unersetzlichen gehört, wirkte mehr durch sein unvergleichliches Temperament, seine durch augenblickliche Inspiration beeinflußte Offenbarung, Bülow und Joachim durch ihre immer abgeklärten, der geringsten Effekthascherei abholden, nur dem Dienste des Höchsten geweihten Auslegungen. Das erhellt schon aus ihrem Repertoire, das nur aus den Werken der allerersten Meister bestand. Obgleich Joachim mit seinem Freunde Brahms die bekannte eigentümliche Erklärung gegen die “neudeutsche Kunstrichtung” erlassen und unterzeichnet hatte, kann man es doch als sicher hinstellen, daß er hauptsächlich durch seinen intimen Verkehr mit Liszt während seines Weimarer Aufenthaltes (als Konzertmeister des Hoftheaters unter Liszts Direktion) und durch die Freundschaft mit Bülow als Vortragskünstler zu einem unsterblichen Hohenpriester der Kunst sich entwickelte. Die Schriften Bülows sind voll von Lobeshymnen auf Joachim. So schreibt er z. B. (“Ausgewählte Schritte”, Breitkopf & Härtel, S. 79): “Wenn Liszt einem ihn besuchenden Fremden einmal einen recht exquisiten Genug erschaffen wollte, so spielte er ihm mit seinem
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Landsmann Joseph Joachim und dem Violoncellisten Coßmann das Trio von Volkmann vor.” Das muß in der Tat ein “exquisiter Genuß” gewesen sein: das bedeutendste Werk eines bedeutenden Meisters von den bedeutendsten Vertretern ihrer respektiven Instrumente vorgetragen! — Richard Wagner schreibt in seine Abhandlung “Über das Dirigieren” (am Schluß): “Eine solche Schule (die Kgl. Hochschule zu Berlin) ohne Herrn Joachim zu begründen wo dieser zu gewinnen war, hätte jedenfalls als bedenklicher Fehler erscheinen müssen. Was mich für diesen hoffnungsvoll einnimmt, ist, daß allem nach, was ich über sein Spiel erfahren habe, dieser Virtuos genau den Vortrag kennt und selbst ausübt, welchen ich für unsere große Musik fordere.” — Auch Joseph Joachim war eine von den Erscheinungen, welche sich, wie Hans von Bronsart bei Bülows Scheiden aus Hannover so richtig bemerkte, wenn überhaupt, kaum alle Jahrhundert einmal wiederholen. — Die Berliner Kgl. Hochschule hat jetzt die schwerste Krisis seit ihrem fast vierzigjährigen Bestehen durchzumachen. Zurzeit ist ihr leuchtendster Stern Max Bruch (sein erstes Violin=Konzert in g moll ist Joachim gewidmet). Ersetzt kann Joachim nicht werden, denn einen Ersatz für ein Genie gibt es nicht, aber einen Nachfolger als erster Lehrer der Ausbildungsklasse wird die Hochschule ihm geben. Wen wird die Wahl treffen? Ysaye, Kreisler, Hermann, Marteau, Burmeister?
Arthur Laser (Berlin)
p. 498
Joachim als Lehrer
Joseph Joachim ist tot, und allerorten, wo nur Schreibfedern in Bewegung sind, beeilt man sich, ihn auch ordnungsgemäß beizusetzen. Wir werden belehrt, daß Joachim “der letzte Klassiker” war, ein fossiler Rest aus vergangenen Epochen; seine ablehnende Haltung gegenüber der Aura Wagner=Liszt und deren Deszendenz gibt Veranlaßung zu Betrachtungen, “wie wir’s so herrlich weit gebracht”; man anerkennt das Außerordentliche, ja Einzige einer Persönlichkeit, die auf das erfolgreichste, glänzendste Virtuosentum die Krone einer umfassenden, weitausschauenden allgemeinen Bildung zu setzen vermochte, und vergißt nicht zu bemerken, daß die Tage seines Virtuosenglanzes längst vorüber, seine Virtuosität überhaupt hundertfach überboten, seine organisatorische Befähigung beschränkt, seine Erfolge als Komponist und Dirigent nur vorübergehend gewesen seien — und was alles noch zum notwendigen Requisit einer regelrechten Einrangieren und Einregistrierung gehört, so daß der Verstorbene nunmehr fertigmumifiziert in seinem Fache untergebracht ist und in dem Gange der Musikgeschichte, wie unsere Tagesschreiber ihn dem lieben Gott diktieren, keinerlei Störung mehr verursachen kann.
Ueber all diesen so wahren und richtigen Bemerkungen wird nur meistens eine Kleinigkeit vergessen — und merkwürdigerweise ist es gerade diese Kleinigkeit, die Joachims Gestalt aus der Reihe derer, denen die Nachwelt keine Kränze flicht, hinausrückt in die Linie der Großen und Unvergänglichen unserer Zeit. So viele vom Tageslärm verstumpfte Sinne, auch in der nächsten Nähe des Meisters, haben es ganz übersehen, daß er ein Erzieher war, nicht mit Wort und Willen, sondern eine der ganz seltenen Individualitäten, die durch ihr persönliches, nur auf die nächsten Ziele gerichtetes Wirken, durch ihre Art zu schaffen, durch ihr Denken und Fühlen, kurz durch ihr Wirkung ausüben. Wie anders wäre es sonst zu erklären, daß er, der Virtuose, der nie anderen als Geigenunterricht erteilt hat, seine geistigen Schüler in allen Schichten unserer heutigen Musikergeneration besitzt? Daß es Tausende von Künstlern, vom Sänger und Virtuosen jeder Gattung, Dirigenten, Wissenschaftler bis zum Orchestermusiker gibt, die mit vollem Recht und tiefinnerer Ueberzeugung es aussprechen, daß sie das Beste ihrer Kunst, ihres künstlerischen Ichs Joseph Joachim verdanken? — Das ist mehr, als es ein Virtuose, und sei er der größte der Welt, vermag; mehr auch als der erfahrenste, gewissenhafteste Pädagog mit allem Fleiß zustande bringt — das ist lebendig wirkende Persönlichkeit, unter deren Strahlen alles verschwindet, was zeitlich und vergänglich an Meister Joachim war, die ihn in die Zahl derer einreiht, die nicht vergessen werden können, weil ihr Sein und Wirken fortlebt in denen, die davon berührt wurden.
Es liegt nahe, Joachim mit seinem einmaligen Freunde und späteren Antipoden Liszt zu vergleichen — eine in mancher Hinsicht lehrreiche und interessante Parallele. Aber mir scheint, dazu ist die Zeit noch nicht gekommen. Im allzuschnell fertigen Urteil würde man nicht umhin können, dem Einen oder dem Anderen unrecht zu tun. Daß Joachims Wirken ein stilleres, weniger von äußerem Glanz umstrahltes war, beweist nichts gegen dessen Tiefe und Dauerhaftigkeit. Wer das Glück gehabt hat, dem Meister jahrelang in seiner Arbeit als Lehrer sowie als ausübendem Künstler in Konzert= und Kammermusik, als Leiter der Hochschule und des Orchesters in Proben und Aufführungen nahe zu sein, für den bedarf es nicht vieler Worte, um zu verstehen, welcher Art die Wirkung war, die er ausübte. Gewiß war sein Streben mehr auf Erhaltung und Ausbau eines festen Besitzstandes, denn auf Eroberung neuer, unbekannter Gebiete gerichtet; aber wenn man unter “konservativ” das starre Festhalten an ererbten Traditionen, das Arbeiten nach unbeweglichen Formeln und Dogmen versteht, so war alles andere als konservativ. Wenn er seinen Beethoven spielte, so konnte auch der gründlichste Kenner seines Spieles nicht im voraus sagen, wie er dies und jenes machen würde; im Augenblick entstand alles neu in seiner selbstschaffenden Phantasie, frisch wie eine Improvisation, modern wie eine ebengeschriebene Komposition trat es ans Tageslicht. Es gab keine noch so abgebrauchte Floskel, keine ehrwürdig=stereotype Wendung, die nicht unter seiner Hand junges Leben gewann, so daß er sie im Momente neu gefunden zu haben schien. Was er spielte, schuf er aufs neue aus sich heraus; hierin und nicht in irgendwelchen technischen Dingen liegt der himmelweite Unterschied zwischen Joachim und allen übrigen Virtuosen.
So war denn auch nicht die Virtuosität, sondern das Musizieren der Kern seines Spieles, und daher kam er — besonders in den letzten Jahren — ganz von selbst dazu, den Schwerpunkt seiner Künstlerschaft in die Kammermusik, in sein unerreichtes und unerreichbares Quartettspiel zu verlegen. Insbesondere sind wohl die Proben seiner Quartettabende, die vormittags in ganz intimem Kreise in der Hochschule stattfanden, allen unvergeßlich, die jemals daran teilgenommen haben. Es waren weihevoll feierliche und doch trauliche Stunden, wie man sie unter Menschen erlebt, die sich durch
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ein gemeinsames geistiges Band verbunden wissen. Da gab es keinen Beifallslaut, kein geräuschvolles Versammeln und Auseinandergehen, wie sonst in Konzerten. Es war ein Sprechen von Mensch zu Mensch, ein unmittelbares Mitteilen höchster Kunst, höchster Lebenserfahrung, wobei man die Grenzlinien nicht mehr empfand, die Kunst und lebendige Sprache von einander trennen. Hier war sein Bayreuth, hier geschahen seine größten Taten; hier lehrte er uns den alten Beethoven und den jungen Brahms kennen und lieben. Aber über solche Einzeltaten hinaus gab er uns das, was unverlierbar ist: das feste Bewusstsein von der Wahrheit und Würde der Kunst. Das prägte sich den jungen Seelen unverwischbar ein, wenn sie den Altmeister in der schlichten Größe seines Wesens sahen und hörten; so lernten sie liebend verehren, lernten an der Hand dieses getreuen Eckart Ehrfurcht empfinden vor allen guten Geistern unserer Kunst.
Nur einmal trat der Bund, der sich bei aller Verschiedenheit der Richtungen und Meinungen wie eine Familie um Joachim scharte, auch machtvoll imponierend an die Oeffentlichkeit: es war bei Joachims sechzigjährigem Künstlerjubiläum im Jahre 1898. Hier hatte sich die Jüngerschaft des Altmeisters aus aller Herren Ländern ein Stelldichein gegeben, ein Orchester war gebildet, in dem allein 120 Streicher — lauter Konzertmeister! — beisammen saßen. Und als dann in der Mitte des Festprogramms der Meister selbst auf das stürmische Drängen seiner Getreuen die Geige ergreifen und als improvisierte Nummer noch einmal das Werk spielen mußte, das er und das ihn berühmt gemacht hat — Beethovens Violinkonzert —, da ging wohl durch die ganze Masse der Ausführenden und Zuhörenden ein Hauch von dem Bewusstsein, daß sie alle sich eins fühlten, Glieder einer Familie durch den Geist dieses Mannes, dessen ganzes Wesen eine Verkörperung, eine volltönende Antwort war auf Schillers Mahnwort: Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben; bewahret sie! —
Am offenen Sarge ist nicht der Platz, das hervorzuheben, was ihm fehlte, die Dinge aufzuzählen, in denen er irrte. Sicherlich hat es größere Organisatoren, bedeutendere Dirigenten gegeben als ihn; sicherlich unterlag in seinen Anschauungen und Urteilen auch er großen Irrtümern. Aber selbst in seinen Irrtümern und Fehlern war er er selbst. Er hätte nicht anders gekonnt, selbst wenn er gewollt hätte. Und das Größte, was er wirkte, lag nicht in seinen Handlungen, sondern in seinem Sein. Er lebte uns das ideale Bild des reinsten Künstlertums vor, er war in allen Regungen seines Ichs eins mit sich selbst, ein großer Künstler und ein großer Mensch. Und so behält denn jenes Wort zuletzt doch recht, das ihn einen “Klassiker” nennt; aber der Stern seines Lebens und unser aller Hoffnung ist es, daß er nicht der letzte war.
So bleibt uns sein Bild: der mächtige, ehrfurchtgebietende Künstlerkopf mit dem Blicke unbeschreiblicher Güte für immer ins Herz eingeprägt. Mild freundlich und doch hoheitsvoll groß scheint er uns mit Schumanns Worten zuzurufen: “Jünglinge, ihr habt einen langen, schweren Gang vor euch. Es schwebt eine seltsame Röte am Himmel, ob Abend= oder Morgenröte, weiß ich nicht. Schafft fürs Licht!”
PPN: PPN845634003
PURL: http://resolver.staatsbibliothek-berlin.de/SBB0001C1E700000000
Titel: Brief an Hermann Härtel : 15.02.1852
Ort: Weimar
Entstehungsjahr: 1852
Kalliope-Nummer: 01634464
Signatur: Mus. Slg. Härtel 122
Kategorie: Musik,Nachlässe und Autographe
Projekt: Nachlässe und Autographe digital
Strukturtyp: manuscript
Hermann Härtel (*1803 — †1875) Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Inv. Nr. Porträt K 20
Joseph Joachim to Hermann Härtel
Weimar, am 15ten Februar 1852
Geehrter Herr Doctor!
Oft schon hatte ich Gelegenheit Ihrer Güte
mich dankbar zu erfreuen. Die Bereitwillig=
keit, mit der Sie auf den von Dr Liszt in Be=
zug auf meine Compositionen geäußerten Wunsch
eingehen, ist mir neuerdings ein Zeichen Ihrer
freundshaftlichen Gesinnung für mich, das
mich zu herzlichstem Danke gegen Sie ver=
pflichtet. Es ist eine große Freude, Erstlings=
werke in einem Verlag erscheinen zu sehen,
der wie der Breitkopf und Härtel’schen
durch so viele Meister=Schöpfungen ge=
ziert ist, und da ich diese Freude Ihrem
freundlichen Wohlwollen für den angehen=
2
den Autor zu verdanken glaube, mögen Sie
daraus ermessen, wie aufrichtig ich mich Ihnen
verpflichtet fühle. Ich kann nur den Wunsch
aussprechen, daß spätere Werke das Vertraue=
en, mit welchem Sie den ersten entgegen kom=
men, rechtfertigen mögen!
Die betreffenden Stücke werde ich, sobald
das noch von mir zu machende Klavier=
Arrangement der Orchester=Begleitung
fertig ist, einsenden. Ich hoffe es wird
das in ungefähr 8 Tagen geschehen können,
und ich werde mir dann erlauben etwaige
Wünsche in Bezug auf die Art und Weise
der Publikation ihnen beizufügen.
3
Für heute nur noch die Bitte, mich Ihrer ver=
ehrten Familie freundschaftlichst empfeh=
len zu wollen. Hochachtungsvoll
Riezler, Bruno. “Ein Geigerkönig.” Die Gegenwart. Wochenschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben, (Berlin, Theophil Bolling, ed.) 54, no. 47 (November 26, 1898): 324-27.
Literatur und Kunst _______
Ein Geigerkönig Von Bruno Riezler.
Paganini, Spohr, Joachim sind die großen Meister der Violine — der italienische Wundermann, der classische deutsche Geiger und der Berliner Professor, der der Erste gewesen, der die Geigerei nicht um ihrer selbst Willen betrieben, sondern sie in den Dienst einer idealeren Sache, in den der Kunst, gestellt und damit seinen Beruf von einem handwerksmäßig körperlichen zu einem innerlich geistigen emporgehoben hat. Sehr schön hat sein Schüler Andreas Moser neuerdings sein Spiel zu schildern und analysiren versucht. “Der erste Factor ist das schönste Erbtheil von Felix Mendelssohn, der seinen jungen Schützling beim gemeinschaftlichen Musiciren stets darauf hingewiesen hatte, die alten Meister zu respectiren, keine Note in ihren Werken zu ändern, immer zuerst an die Musik und dann erst an sein Instrument zu denken, niemals um der bequemeren Spielbarkeit die Intentionen des Componisten zu opfern. Diese Lehren sind bei Joachim auf so fruchtbaren Boden gefallen, daß ihn schon als Jüngling sein Schönheitssinn und ein merkwürdig früh gereifter Geschmack davor bewahrt haben, Extravaganzen zu Gunsten unmittelbarer Wirkung zu begehen. Vielmehr war
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er stets bestrebt, sich innig mit dem auszuführenden Kunstwerk vertraut zu machen , es in seiner ganzen Tiefe zu erfassen, um es, nachdem es durch das Medium seines künstlerischen Empfindens hindurch gegangen, in ganzer Reine und Schönheit vor dem Zuhörer wieder erstehen zu lassen. Das hat seinen Vorträgen die sprichwörtlich gewordene Vornehmheit und Vollendung, die abgeklärte Ruhe und poetische Weihe gegeben wie sie in gleichem Maaße bei keinem anderen ausübenden Tonkünstler vorkommen. Immer sehen wir den Blick des Meisters auf den geistigen Gehalt, die charakteristischen Merkmale, den Stil des Werkes gerichtet, das unter seinem Bogen zur Wiedergabe gelangt; niemals stellt er sein Ich zur Schau oder kokettirt mit Aeußerlichkeiten. Joachim ist ein so wenig zur Reflexion geneigter Künstler, daß ihm in dieser Hinsicht nur noch Anton Rubinstein an die Seite zu stellen ist. Wie dieser bei seinen Darbietungen hauptsächlih inneren Impulsen folgte, den Eingebungen des Augenblicks freien Zulaß gewährte, so sind auch die Kunstleistungen Joachim’s nur der Ausdruck tiefsten musikalischen Empfindens, das mit der eigentlichen Gehirnthätigkeit in so gut wie gar keinem Zusammenhange steht. Mit dem Unterschied freilich, daß Rubinstein sich manchmal von seinem Temperament zu Uebertreibungen fortreißen ließ, deren sich Joachim niemals schuldig macht. Eine wahrhaft ethische Kraft und ein idealer Schönheitssinn lassen ihn auch bei den leidenschaftlichsten Stellen die Linie niemals überschreiten, wo das Charakteristische aufhört, schön zu sein. Und endlich seine großartige Technik, an die man während seines Musicirens zunächst gar nicht denkt. Seine Darbietungen genießen sich so mühelos, daß sie stets in dem Zuhörer ein wohlthuendes Gefühl der Befriedigung hinterlassen. Wollen und Können sind bei ihm eins. Wie er unbeschränkter Herr ist über das Griffbrett und die raffinirtesten Schwierigkeiten spielend zu überwinden weiß, die die größten Virtuosen aller Zeiten ausgeflügelt haben, so verfügt er über eine Bogenführung, die an Unabhängigkeit und Geschmeidigkeit im wahrsten Sinne einzig ist. Ihr vor Allem verdankt er sein Ausdrucksvermögen und die modulationsfähige Tonangebung, die, bald hell, bald dunkel, verklärt und duftig, üppig und strahlend — je nachdem es der Augenblick erheischt —, uns den unerschöpflichen Farbenreichthum ahnen läßt, den er auf seiner Palette zur Verfügung hat.”
Dieser feinsinnige Beurtheiler hat nun seinem Lehrer und Meister ein schönes biographisches Denkmal *) gesetzt, auf das wir heute unsere Leser warm empfehlend hinweisen wollen. Er schildert darin mit liebevollem Verweilen den Werdegang des großen Künstlers als eine von den seltenen glücklichen Naturen, deren ganze Entwickelung von hellem Sonnenschein bestrahlt und erwärmt wurde. In seiner Jugend schon wurde er durch die Fürsorge verständnißvoller Verwandter vor den leidigen Existenzsorgen beschützt, — er der arme Judensprößling aus Kitsee bei Preßburg, das die deutschenfresserischen Ungarn in ihr für jeden gebildeten Mitteleuropäer unaussprechliches Halbtürkisch “Köpcseny” magyarisirt haben. Natürlich wird auch Joachim, der längst deutscher Staatsbürger ist, wie Liszt und Munkacsi (Lieb) von den Magyaren als eigenste Nationalgröße gefeiert, obwohl er kein Wort ungarisch versteht. Moser erzählt eine hübsche Anekdote: Nach den glänzenden Triumphen, die Joachim im Februar 1861 in Wien geerntet hatte, gab er auch einige Concerte in Pest, wo natürlich der Enthusiasmus, den er erregte, noch weit größer war: feierte man doch in ihm nicht nur den genialen Künstler sondern eben so sehr den berühmten Landsmann, auf den der “ungarische Globus” alle Ursache hatte, stolz zu sein. Bei einem Bankett, das die Studenten dem damals hannöverschen Concertdirector zu Ehren veranstalteten, verstieg sich einer der Redner im Ueberschwang hunnischer Begeisterung zu dem Ausspruch, es sei eine Schande für die Nation, daß einer ihrer größten Söhne in Diensten eines Staates stehen, der nicht einmal so groß sei wie manches ungarisches Comitat. Darauf erhob sich Joachim entschuldigte sich, daß er in deutscher Sprache antworten müsse, der das Ungarische inzwichen verlernt (?) habe, und gab dem Redner zu bedenken, daß es doch nicht gerechtfertigt wäre, von Deutschland so geringschätzig zu reden. Nirgend wo Anders habe man der ungarischen Literatur so warme Sympathien entgegengebracht wie gerade in Deutschland, und er selber habe Petöfi nur durch deutsche Übersetzungen kennen und lieben gelernt. Da er aber ein zu schlechter Redner sei, um seinen Dank für die dargebrachten Ovationen in Worte zu kleiden, wolle er der Versammlung lieber Etwas auf der Geige vortragen. Mit jubelnder Begeisterung begrüßten die Studenten den Vorschlag Joachim’s, der dem Primas der für das Bankett engagirten Zigeunercapelle die Geige aus der Hand genommen hatte, um seinen Worten die That folgen zu lassen. “Ich werde Ihnen einen deutschen Tanz vorspielen, von Bach,” rief er der Versammlung zu, indem er die Geige an’s Kinn setzte. Wie ein kaltes Sturzbad wirkte dieser Zuruf auf die Anwesenden, von denen die Meisten keine Ahnung von der Existenz des großen Thomascantors gehabt haben mochten. Sie waren vielmehr der Meinung gewesen, der von Joachim vorgetragene Tanz wäre von Bach, dem verhaßten österreichischen Polizeiminister unter dessen absolutistischem Regime das ungarische Volk zo lange geschmachtet hatte. Erst nachdem sie eines Besseren belehrt worden waren, erbrauste ein solches Eljen=Rufen durch den Saal, wie es Joachim nicht leicht wieder vernommen haben dürfte.
Aber auch Joachim’s späteres Künstlerwallen war ohne die sonst üblichen Dornen und Enttäuschungen. Doch geht Moser zu weit, wenn er behauptet, daß Joachim in seiner Laufbahn niemals einen Schritt gethan, den er hat rückgängig machen müssen. Man denke nur an seine Stellung zu Liszt und Wagner, deren begisterter Anhänger und Bewnderer er anfänglich war, bis er mit Johannes Brahms und anderen Freunden den berühmten Absagebrief schrieb, der wie Moser versichert, durch eine Indiscretion in die Oeffentlichkeit gelangte und die Unterzeichner ganz ohne Zweifel unsterblich — blamirte. Um wie viel würdiger und klüger war nicht Joachim’s Privatbrief an Liszt. “Ich bin Deiner Musik gänzlich unzugänglich; sie widerspricht Allem, was mein Fassungsvermögen aus dem Geist unserer Großen seit früher Jugend als Nahrung sog. Wäre es denkbar, daß mir je geraubt würde, daß ich je Dem entsagen müßt’, was ich als Musik empfinde, Deine Klänge würden mir nichets von der ungeheuren, vernichtenden Oede ausfüllen. Wie sollt’ ich mich da mit Denen zu gleichem Zweck verbrüdert fühlen, die unter dem Schild Deines Namens und in dem Glauben (ich rede von den Edlen unter ihnen), für die Gerechtigkeit der Zeitgenossen gegen die Thaten der Künstler einstehen zu müssen, die Verbreitung Deiner Werke mit allen Mitteln zu ihrer Lebensaufgabe machen? Vielmehr muß ich darauf gefaßt sein, mit dem, was ich mich bescheide für mich zu erstreben, immer mehr von ihnen abzuweichen, und das, was ich für gut erkannt, was ich für meine Aufgabe halte, auf eigene Verantwortung, wär’s noch so still, zu üben. Ich kann Euch kein Helfer sein und darf Dir gegenüber nicht länger den Anschein haben, die Sache, die Du mit Deinen Schülern vertrittst, sei die meine.” Das ist gewiß männlich und tapfer gesprochen. Wer zwischen den Zeilen zu lesen versteht, wird merken, welche Ueberwindung Joachim die Formulirung seiner Absage and Liszt gekostet hat. Man mag über den Inhalt des Briefes denken, wie man will — auch seine Nothwendigkeit ist von Manchen angezweifelt worden —, aber Niemand wird leugnen können, daß es die That eines ehrlichen Mannes war, der ein künstlerisches Glaubensbekenntniß ablegt und sein Verhalten vor
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falschen Deutngen schützen will. Was die sonstige Schärfe dieses Briefes wesentlich mildert, das ist die wahrhaft rührend Art, mit der Joachim dem älteren Meister seinen Dank ausspricht für alles Andere, was er von ihm gelernt hat. Auch hier wieder unterscheidet er haarscharf zwischen dem Componisten Liszt und seinen übrigen verehrungswürdigen Eigenschaften. Das hat Liszt sehr wohl empfunden, und wenn ihm auch Joachim’s Absage wehe gethan, so hat er doch in seinem ganzen zukünftigen Verhalten ihm gegenüber stets das versöhnende, nicht das trennende Moment in den Vordergrund gestellt. Nicht so seine Anhänger, die diesen Brief als ein Attentat auf ihren Führer bezeichneten, das nicht ungesühnt bleiben durfte. In unglaublichem Durcheinander warf man die Sache Liszt’s mit der Wagner=Frage in einen Topf und behandelte Beide als voneinander unzertrennlich. Aus jener Zeit her datirt schon der unheilvolle Einfluß der “Wagnerianer”, die, mit Raff zu reden, der Sache ihres Meisters mehr geschadet als genützt haben. Das hat auch Joachim an sich selber erfahren. Vom Tage der ersten Aufführung des Lohengrin in Weimar an war er ein enthusiastiscer Verehrer Wagner’s gewesen, und die intime Bekanntschaft mit dem Tannhäuser konnte seinen Respect vor der gewaltigen Persönlichkeit des Meisters nur noch steigern. Schon fünf Wochen nach seiner Anstellung in Hannover, am 5. Februar 1853, dirigirte er zum ersten Mal die Tannhäuser=Ouverture in einem Symphonieconcerte der königlichen Capelle. Moser schildert überdies den großen Eindruck, den das Textbuch der Nibelungen auf Joachim gemacht hat. Die erste Einschränkung der großen Bewunderung für Wagner ist auf seine Bekanntschaft mit Weber’s “Euryanthe” zurückzuführen, die er erst in Hannover unter Marschner’s Direction kennen gelernt hatte und, was das Musikalische anlangt, weit über den Lohengrin stellte. Er war durch sie zu der Einsicht gekommen, daß Wagner mit seinem Lohengrin und Tannhäuser doch nicht so absolute Neuerungen vollbracht hatte, als er bisher angenommen, daß er vielmehr in Weber einen Vorgänger gefunden, dessen eminentes Vermögen, Personen und Situationen musikalisch=dramatish zu charakterisiren, nur insofern von Wagner übertroffen wurde, als dieser Alles dicker auftrug und unterstrich, was Weber’s feinerer musikalischer Sinn in maaßvollen Grenzen gehalten hatte. Die weitaus größere Abschwächung aber erfuhr sein Enthusismus durch die rücksichtslose Propaganda, die die “Wagnerianer” auf Kosten der Meister in’s Werk setzten, denen Joachim persönlich nahe gestanden hatte. Ueberdies witterte er Unheil in den Bestrebungen der Nachtreter Wagner’s, die sich anschickten, die Principien ihres Abgottes auch auf das Gebiet der reinen Instrumentalmusik zu übertragen, eine Absicht, die übrigens Wagner selbst auf das Scharfste mißbilligt hat. Von der ferneren Entwickelung unserer Musik hängt es ab, ob die Kunstgeschichte für oder gegen Joachim zeugen wird, meint Moser. Wir sind freilich der Ansicht, daß Joachim’s Widerwillen vor dem Componisten Liszt schon heute von allen wirklich Einsichtigen im Sinne Joachim’s nachgefühlt wird. Nur sein Urtheil über Wagner dürfte nicht ratificirt werden. Uebrigens gerieth Joachim noch einmal mit Wagner zusammen, als dieser im Hinblick auf ihn die Geiger als Dirigenten abfällig beurtheilte. Natürlich wird Joachim auch hierin von seinem Biographen energisch in Schutz genommen. “Ein flüchtiger Blick in die Musikgeschichte belehrt uns ohne Weiteres, daß es zu allen Zeiten Dirigenten — auch solche allerersten Ranges — gegeben hat, die von Haus aus Geiger waren. Es ist auch gar kein Grund, einzusehen, weßhalb gerade Geiger nicht im Stande sein sollten, sich ein Kunstwerk geistig so vorzustellen und innerlich zu verarbeiten, daß sie demselben an der Spitze von Chor und Orchester eine künstlerisch abgerundete Wiedergabe sichern können. So sind Spohr und Habeneck sicherlich Geiger gewesen, und doch fingt Wagner an mehr als einer Stelle in seinen Schriften deren begeistertes Lob als Orchesterleiter. Weitaus natürlicher ist es vielmehr, Musiker, die mit den Orchesterinstrumenten von Haus aus vertraut sind und die nöthigen Fähigkeiten zum Lesen und Verstehen von Partituren mit sich bringen, an das Dirigentenpult zu stellen, als Clavierspieler, die in der Regel keine Ahnung von dem complicirten Apparat des Orchesters haben. Und wenn auch in letzter Zeit mehrere Clavierspieler hervorragende Dirigenten geworden sind — wie beispielsweise Bülow einer der glänzendsten des Jahrhunderts –, so verdanken sie das nicht etwa ihren pianistischen Antecedentien, sondern besonderen Anlagen, mit denen sie von der Natur ausgestattet waren. Auf alle Fälle aber ist es besser, wenigstens ein Instrument – gleichviel welches — gründlich zu beherrschen, als, wie es bei Wagner der Fall war, keines!”
Der Enkomiast, denn ein solcher ist Moser, bespricht auch Joachim’s Thätigkeit als Director der Berliner Akademischen Hochschule für Musik. Es dürfte schwer fallen, für die hingebende Treue und gewissenhafte Pflichterfüllung, mit der Joachim vom Tage der Gründung bis auf die heutige Stunde dem Ausbau und der Entwickelung der Hochschule seine besten Kräfte gewidmet hat, ein auch nur annäherndes Beispiel an die Seite zu stellen. Nur der lauterste Idealismus und das freudige Bewußtsein, Gutes und Segenbringendes zu stiften, können die aufopfernde Mühewaltung erklären, die er an seine Schöpfung gewendet hat. Sie hat ihm in der Freiheit seiner Bewegung und der unbeschränkten Verwerthung seiner Zeit solche Fesseln auferlegt, daß selbst nahestehende Freunde und Kunstgenossen kein genügendes Verständniß dafür gewinnen können. Während andere Künstler den größten Theil ihrer Muße zu productivem Schaffen oder weit ausgedehnten Concertreisen benützten, die ihnen Ruhm und Geld in schwerer Menge eintragen, ist Joachim den größten Theil des Jahres an seine Stellung in Berlin gebunden und verwerthet bloß seine drei winterlichen Urlaubsmonate zu Concertzwecken. Von den berühmtesten Pädagogen des Violinspiels kann keiner auf eine solche Reihe trefflicher, zum Theil ausgezeichneter Schüler blicken, wie Joachim. “Wie er durch sein persönliches Wirken im Concertsaal vorbildlich geworden ist für jeden ausübenden Tonkünstler, der seinen Beruf von einem höheren, id(e)alen Standpunkt auffaßt, so hat er der Kunst des Violinspiels im verflossenen halben Jahrhundert geradezu den Stempel seiner Individualität aufgedrückt. Durch seine Schüler hat er überdies für einen Nachwuchs gesorgt, der seine Lehren bis tief in’s nächste Jahrhundert hinein weiter vererben und auch späteren Geschlechtern noch zum Bewußtsein bringen wird, daß sie seines Geistes einen Hauch verspürt haben”. Daß Moser seinen Meister auch als Componisten schätzt, ist begreiflich. Er überschätzt ihn geradezu, denn Bleibendes hat Joachim doch nur in der Violin=Literatur geleistet. Seine übrigen Compositionen sind auch immer rasch vorübergegangen. Immerhin hat Joachim mit seinen Variationen die Geiger mit einem Werke bedacht, das auch späteren Generationen noch erzählen wird, daß er nicht nur einer der größten ausübenden Tonkünstlre aller Zeiten, sondern auch einer der bedeutendsten componisten für sein Instrument gewesen ist.
Dagegen sind wir ganz einverstanden mit Moser, wenn er unseren Geigerkönig als Beethovenspieler und Quartettisten überaus hoch stellt. Zwar haben Vieuxtemps und David lange vor Joachim auch schon das Concert von Beethoven und andere classische Werke in der Oeffentlichkeit gespielt, aber sie machten es wie Liszt; auf den Vortrag eines gehaltvollen Werkes ließen sie ihre faden, aber blendenden Phantasien über beliebte Themen folgen, gleichsam als ob sie das Publicum um Verzeihung bitten wollten, daß sie es vorher mit ernster Musik behelligt hatten. Andererseits war ihnen bei der unausgesetzten Beschäftigung mit hohlem Virtuosenkram die ethische Kraft verkümmert worden, ein Kunstwerk in seiner ganzen Tiefe zu
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Erfassen, und die Fähigkeit, es um seiner selbst willen in voller Reine darzustellen. Die schlichte Vornehmheit und geschlossene Einheitlichkeit, mit denen nun Joachim die Concerte von Beethoven, Mendelssohn, Spohr und Viotti, Sätze aus Bach’schen Werken für Violine allein, Sonaten von Tartini, die Schumann’sche Pahntasie u.s.w. zum Vortrag brachte, wirkten geradezu wie eine Offenbarung und führte den Zeitgenossen bisher unbekannte Begriffe von der Aufgabe eines ausübenden Tonkünstlers zu. Kein Wunder also, daß Joachim aller Orten glühende Verehrer hat. Wie groß z. B. die Bewunderung war, die Moltke seinem Geigenspiel entgegenbrachte, ist allbekannt. Der gewaltige Schlachtendenker hatte, wie Moser erzählt, eine besondere Vorliebe für getragene Sätze von mildem Ausdruck, die zu andachtsvoller Stimmung anregen. Hatte ihn Joachim durch den empfindungsvollen Vortrag eines langsamen Stückes erst einmal in eine solche versetzt, so wollte er den ganzen Abend hindurch nichts hören, was ihn aus seiner Beschaulichkeit herausgerissen hätte. Das Lieblingsstück des großen Strategen war der Mittelsatz des Bach’schen D-moll-Concertes für zwei Geigen.
Der Andrang zu den Quartettabenden, die Joachim vom Herbst 1869 ab in Berlin mit seinem Schüler Schiever als zweitem Geiger, de Ahna als Bratschisten und Wilhelm Müller, dem früheren Cellisten des jüngeren “Müller=Quartetts”, veranstaltete, war von vornherein ein so gewaltiger, daß sie lange Zeit unter dem Zeichen “Ausverkauft!” standen. Aber auch später blieb der Besuch dieser Concerte immer noch ein so glänzender, daß man sagen kann, kein zweites künstlerisches Unternehmen habe sich einer auch nur annähernd so hohen Gunst Seitens der musikliebenden Kreise Berlins zu erfreuen, wie das nunmehr seit dreißig Jahren bestehende Joachim=Quartett. Und wenn auch Joachim’s mitwirkende Genossen im Laufe dieser Zeit einige Male wechselten, so hat das die Qualität der Leistungen niemals beeinflußt. Der geniale Führer hat für den Ausscheidenden stets vollwerthigen Ersatz zu finden gewußt und den Neueintretenden in so kurzer Zeit mit dem künstlerischen Geiste vertraut gemachet, der von ihm ausgeht, daß auch Schwankungen im Ensemble selten oder kaum zu bemerken waren. “Was zunächst auffallen wird,” schreibt Moser, “ist das fein abgetönte Ensemble. Die vier Spieler verstehen einander so vollkommen, als ob ihre verschiedenen Functionen von einem gemeinsamen Willen ausgingen. Handelt es sich um accordische Harmoniefolgen wie beispielsweise im Thema der Variationen des D-moll-Quartetts von Schubert, so muß man erstaunen über die dynamische Gleichmäßigkeit, mit der sich die vier Stimmen zu einem Ganzen verschmelzen. Hat aber eines der Instrumente etwas Besonderes, im Vergleich zu den Uebrigen Wichtiges zu sagen, so ist es ebenso bewunderswürdig, wie sich die Anderen unterzuordnen wissen, der Hauptsache Platz machen, ohne in ein bedeutungsloses Säuflen oder Geflüster zu versinken.” Moser verweist auf die geschickte Art, mit der die vier Spieler sich gegenseitig die Pizzicati im ersten Satz des Beethoven’schen Quartetts, Op. 74, abnehmen und so vollständig die Illusion hervorrufen, als ob eine Harfe die Ausführung der dem Stück den Namen gebenden Stelle besorgte. Dann erinnert er an das Scherzo des Cis-moll-Quartetts, wo die vier Instrumente sich gegenseitig die kleinen Bruchstücke der dem Hautthema zu Grunde liegenden Begleitungsfigur zuwerfen, als ob ein Spieler das ganz allein bewerkstelligte; und dann, wie sie jedes Mal nach dem Ritardando ds Presto wieder einzuleiten wissen, ohne da der geringste Ruck zu spüren wäre! “In den schnellen Sätzen der Rasoumowsky=Quartette ist es wieder die rhythmische Präcision, mit der die schwierigen Taktverschiebungen und =Rückungen zu vollendet klarer Ausführung gelangen, die imponirend wirkt; und so ist des Bewunderswerthen hier kein Ende. Nach dem Gesagten leuchtet es ohne Weiteres ein, daß Joachim nicht etwa immer “die erste Geige” spielt und von seinen Partnern unterthänige Dienstverrichtungen fordert. Vielmehr gehen alle Vier so in dem vorzutragenden Kunstwerk auf, daß stets gerade das zur Geltung gelangt, worauf es ankommt.” Die Mission, die das Joachim’sche Quartett erfüllt hat und immer noch ausübt, gipfelt in zwei Punkten: in der Verbreitung des Verständnisses für die letzten Quartette Beethoven’s und in dem Eintreten für Brahms. Denn während noch vor dreißig Jahren es nur ein kleines Häuflein wr, das sich für späteren Beethoven interessirte, kann man nun sagen, daß, Dank der unermüdlichen Ausdauer und Hingabe Joachim’s, die Gemeinde welche für “die letzten Quartette” schwzärmt, eine recht stattliche goworden ist. Diese Wahrnehmung gilt nicht nur für Berlin und London, wo Joachim seine standigen Quartette hat, nucht nur innerhalb der Grenzen unseres Vaterlandes, sondern weit hinaus, bis in den fernsten Westen Amerikas. Ueberall, wo Joachim’sche Schüler leben, wird der Versuch gemachte, das Beispiel des Meisters nachzuahmen und in seinem Sinne weiterzuwirken. Aber nicht nur seine Unmittelbaren und seine Schüler im Geiste hat er in dieser Hinsicht beeinflußt, sondern gar viele andere Künstler, die mit Joachim in keinem anderen Zusammenhange stehen, als daß er ihnen für ihr eigenes Wirken zum Vorbild geworden ist. Der Ruhm des Joachim’schen Quartetts ist selbstverständlich nicht auf das Weichbild der Stadt Berlin beschränkt geblieben. IN der gesammten musikalischen Welt steht es in dem unbestrittenen Ansehen, daß seine Darbietungen den Höhepunkt dessen bezeichnen, was in der vollendeten Wiedergabe der Kammermusik überhaupt geleistet werden kann. Schließlich gedenkt Moser auch noch des musikalischen Handwerkzeugs, dessen sich das Joachim=Quartett in der Oeffentlichkeit bedient. Seit einer Reihe von Jahren schon spielen die vier Künstler nur auf Instrumenten, die von der Hand des größten Geigenbauers aller Zeiten, des Antonio Stradivari in Cremona (1644—
1737), angefertigt sind. Die Viola, auf der Meister Wirth spielt, gehört zwar nicht der Genossenschaft, der kunstsinnige Besitzer derselben, Herr Robert von Mendelssohn, stellt sie aber dem Quartett bei seinem öffentlichen Auftreten stets in munificenter Weise zur Verfügung. Der Werth der vier Instrumente, die sämmtlich allerersten Ranges sind und aus der Blüthezeit Stradivari’s stammen, repräsentirt das hübsche Sümmchen von rund einmalhunderttausend Mark!
Ueberblicken wir zum Schlusse nochmals Joachim’s künstlerischen Entwickelungsgang, so müssen wir seinem Biographen Recht geben, daß sich hier Alles harmonisch und stetig entwickelt, „wie ein breit angelegtes Crescendo, das schließlich in einen majestätischen Orgelpunkt aufgeht.“ Auch das Geschenk ewiger Jugend scheint ihm der gütige Genius in die Wiege gelegt zu haben. Frisch und munter kann er demnächst ein goldenes Jubiläum feiern: im Februar sind sechzig Jahre seit seinem ersten Auftreten in der Oeffentlichkeit verflossen. Möge er noch lange seines künstlerischen Priesteramtes walten!
*) Joseph Joachim. Ein Lebensbild. Berlin, B. Behr.
Thanks to David Brodbeck for calling my attention to this article. — RWE