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Joseph Joachim to Unknown, Pesth, May 12, 1848

Holograph: Universitätsbibliothek Leipzig, Kurt-Taut-Slg./5/Hee-J/H/294.


Joseph Joachim to Unknown
[Probably Dr. Julius Klengel (1818—1878), son of Moritz Klengel (1794-1870) and Joachim’s tutor after Hering. The Klengels lived at Lehmanns Garten, as did Joseph (Joseph lived at Door 4)]

[English translation below (c) Robert w. Eshbach, 2025]


Pesth am 12ten Mai 1848

Verehrter Herr Doctor!

Es ist mir lieb, daß ich so bald Gelegenheit finde, Ihnen
ein paar Worte schreiben zu dürfen, denn Sie haben es mir
ja selbst aufgetragen, Ihnen so bald ich etwas Gewißes über
[mein] nach Leipzig kommen wüßten, zu schreiben. Ich habe meinen
Eltern die Sache vorgestellt, [1] und obwohl sie im Anfange
Nicht recht davon wollten, mich wieder wegzulaßen, so
Gelang es mir doch zuletzt, sie zu überreden, und so denke
ich dann, wenn anders die Herrn Directoren noch die selben
Gesinnungen für mich hegen, Mitte oder Ende Juli in
Lehmanns=Garten, [5te] Thüre anzufragen, ob mich der Va=
ter und Frl. Nanni wieder aufnehmen möchten. —
Vorgestern um 10 Uhr Abends kam ich hier an, nachdem
ich 9 Tage in Wien zugebracht hatte. Sie können es sich
vorstellen, was das für Freude für mich war, meine
Lieben Eltern und alle Geschwister noch mehr als 2

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Jahre wieder zu sehen! Und die vielen Neffen und Nichten,
die (ohne Oncle=Stolz) so wunderhübsch sind! Ich werde hier
gewiß sehr schöne Tage zubringen; und denke auch recht fleißig
zu sein, damit ich mein neues Amt mit Ehren antreten
kann. Freilich habe ich bis jetzt hier noch wenig Zeit
zu Arbeit gefunden. —
Ungarn ist in großer Aufregung; überall wünscht
man es womöglich ganz frei von Oesterreich zu sehen,
und dem Kaiser in der that nichts vom Lande zu laßen
als den Namen “König”. Natürlich überall, aus jedem
Fenster und aus jedem Knopfloch: weiß, roth, und grün,
die ungarischen National=Farben. Vorgestern Abends frag=
te man dem General Lederer, Kommandanten der Ofner Festung,
eine so genannte “Katzenmusik” die in Pfeifen und Miauen
besteht, weil er der Jugend, wie man die Studenden hier
nennt, sein Versprechen, Waffen zu geben, nicht gehalten
hatte, und weil man seinen Posten von einem Ungar besetzt
zu sehen, wünschte. General Lederer liest schändlicher
weise, ohne erst zum Zurückziehen aufzufordern, einhau=
en, und es gab 4 Todte und mehr als 20 Verwundete,
worüber denn hier Alles entrüstet ist. Lederer ist bereits

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in derselben Nachte entwischt, aber die Ungarn verlangen,
daß er und die Officiere, die zum Stechen Befehl gegeben
exemplarisch bestraft werden. Man ist begierig, wie
es hier ablaufen wird, doch hofft man allgemein, ohne
ferneres Blutvergießen. — Die Orientaler haben
hier Ruhe, und was man von den Pesther Unruhen
dieser Art in der Leipziger Zeitung las, war
übertrieben, in Pressburg aber sind leider die schlimmsten
Dinge vorgefallen, und die grellsten Farben nicht hinrei=
chend die Judenverfolgunen dort, zu schildern. Die Ungarn
sind, oder stellen sich wenigstens entrüstet darüber,
und wollen alle Schuld auf die Slaven und Deutschen
schieben, von denen in Pressburg eine große Menge
wohnt. Das Standrecht ist in Pressburg für die Ver=
volger erklärt. — Doch, genug von diese häßlichen, bösen
Geschichten? Sie haben Beßeres zu thun, als sich dieselben
Vorlesen zu laßen, lieber [Hr] Doctor. Meinen herzlichen
Gruß an die liebenswürdige Vorleserin, sowie an Frl.
Nani und den Kinder von Ihrem

Ewig dankbaren
Joseph Joachim

P. S. Lesen Sie zuweilen noch Titan? Nach Shakspeare frage ich gar nicht?


Pest, May 12, 1848

Dear Herr Doctor,

I am glad to have the opportunity to write to you so soon, as you yourself requested that I inform you once I had definite news about my return to Leipzig. I presented the matter to my parents, and though they were initially reluctant to let me leave again, I eventually persuaded them. Thus, I plan to inquire at Lehmann’s Garden, 5th door, by mid- or late July—provided the directors still hold the same regard for me—whether Father and Miss Nanni might take me back.

I arrived here the night before last at 10 p.m., after spending nine days in Vienna. You can imagine my joy at seeing my dear parents and all my siblings again after over two years! And the many nephews and nieces (without an uncle’s pride) who are so wonderfully lovely! I will surely spend beautiful days here and intend to work diligently to honorably assume my new position. Admittedly, I’ve found little time for work so far.

Hungary is in great turmoil. Everywhere, people wish to see it entirely free from Austria, leaving the Emperor nothing but the title “King.” Naturally, the Hungarian national colors—white, red, and green—adorn every window and buttonhole. The night before last, a so-called “Katzenmusik” (a cacophony of whistles and catcalls) was directed at General Lederer, commander of the Ofen fortress, for failing to keep his promise to arm the youth (as students are called here) and because they wished his post occupied by a Hungarian. Disgracefully, Lederer ordered an attack without first calling for retreat, resulting in four dead and over twenty wounded, sparking widespread outrage. Lederer fled that same night, but Hungarians demand exemplary punishment for him and the officers who ordered the charge. All await the outcome, though hopes remain that further bloodshed will be avoided.

The Orientals here are calm, and reports of Pest’s unrest in the Leipzig Gazette were exaggerated. However, Pressburg has suffered the worst atrocities—no vivid description could adequately portray the persecution of Jews there. Hungarians, or at least their leaders, express outrage and blame Slavs and Germans, who are numerous in Pressburg. Martial law has been declared against the persecutors.

But enough of these ugly, grim tales. You have better things to do than read such accounts, dear Doctor! My warm regards to the gracious [female] reader [of this letter], Miss Nani, and the children.

Your eternally grateful,

Joseph Joachim

P.S. Do you still read Titan occasionally? I need not ask about Shakespeare.


 


[1] See letter of 2 May from JJ to Ferdinand David, Joachim/BRIEFE I, pp. 12-13.

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