
Das vor Kurzem im Stich erschienene Violinkonzert in E-moll von Mendelssohn-Bartholdy war uns schon von vornherein die liebste Nummer des Konzertprogrammes. Hr. Joachim hat durch diese Wahl seine Pietät für klassische Musik und sein geläutertes Kunststreben abermals auf das glänzendste bewährt. Über den großen Werth dieser Composition voll Duft und Leidenschaft, in welcher die Orchesterbegleitung auf eine höchst sinnige, meisterhafte Weise, mehr in konzertanter Haltung zur Principalstimme sich geltend macht — herrscht nur eine Stimme, und wir verweisen in einer Beziehung auf Nr. 15 dieser Blätter, in welchem Hr. Philokales dieses Konzert ausführlich und treffend beurtheilte. Der 1. Satz ist der Glanzpunkt dieser Tondichtung, in welchem uns der Componist ohne herkömmliches Tutti gleich durch die Violinprimstimme zum Thema geleitet, welches ein höchst elegischer Hauch durchwehet. Im weiteren Verlaufe dieses Satzes wechseln effektvolle Passagen, ungemein zarte, liebliche Melodien, bald in der Principalstimme bald in der Begleitung auf eine vollendet durchgeführte und contrapunktirte Weise, welche den Zuhörer in stete Gemüthsspannung versetzen. Von großer Wirkung ist die brillante Cadenz vor dem Schlusse des ersten Satzes, welcher Schluß eine wohlgerundete Recapitulation aller früheren Haupt- und Zwischengedanken bildet. Von hier führt uns der Tondichter durch eine höchst geistreiche harmonische Wendung unmittelbar zum Andante in C-dur, welchem zwei äußerst zarte, seelenvolle Motive, letzteres im gesteigerten Gefühlsausdrucke, zu Grunde liegen, wobei die Orchesterbegleitung in außerordentlich feinen Nuancen gehalten ist; jedoch sind wir der Meinung, daß dieses Andante überhaupt etwas zu weit ausgesponnen sei. Mit einem Motive voll Lebendigkeit und Humor in E-dur beginnt der 3. Satz des Konzertes, von welchem der Componist in eine zweite Melodie, jedoch von minder belebender Wirkung einlenkt; ungemein geistreich und überraschend ist die Durchführung dieser beiden Gedanken — doch können wir uns andererseits auch nicht der Bemerkung begeben, daß einige in diesem Satze vorkommende Passagen im flachen Style gehalten seien. Übrigens gilt diese Tondichtung im Ganzen genommen bezüglich der äußerst dankbaren Invention, und der höchst gelungenen, dem großen Componisten eigenthümlichen, geistreichen Durchführungsweise, besonders im gegenseitigen Verhältnisse zwischen der Principalstimme und der Begleitung als ein Meisterstück, wie wir deren nur wenige besitzen, und welches in den Zuhörern einen bezaubernden Eindruck hervorruft. Der jugendliche Konzertgeber hatte dasselbe vor Mendelssohn-Bartholdy in Leipzig gespielt und dessen Beifall eingeerntet, und es war uns daher der Vortrag dieser Piece von Hrn. Joachim um so interessanter, um daraus zu erfahren, wie dieselbe dem Wunsche des Autors entsprechend vorgetragen werden soll ***). Wenn man nun in Erwägung zieht, mit welch’ unendlicher Fülle der duftigsten, zartesten, elegisch und erschütternd ergreifenden Gedanken, daher auch mit welch’ üppiger Coloratur dieses Konzertstück prangt, wie ermüdend dasselbe bezüglich der darin enthaltenen kurzen Ruhepunkte für den Vortrag wird, und weiters noch, daß hierbei die so höchst geistreiche, ganz gewiß eigenthümliche und effecetvolle Begleitung sich in den Ruhm der Principalstimme theilt, und zu grell aufgetragen, wie dieß im 3. Satze des Konzertes durchghends der für den Konzertgeber und das Auditorium gleich unliebsame Fall war, den Solopart beinahe gänzlich in den Hintergrund drängte, so muß man gestehen, der Konzertgeber habe seine schwierige Aufgabe jedenfalls auf eine Weise gelöst, die seine gediegene Auffassung, seinen geläuterten Kunstsinn und die bereits erklommene hohe Stufe seiner Technik bekundet, welche Gesammtvorzüge ihm sowohl schon während und nach dem Vortrage des Konzertstückes von Mendelssohn als auch der Introduction und der schwierigen, jedoch nicht sehr dankbaren Variationen über ein Originalthema von F. David, dann der bereits im 1. Konzerte vorgetragenen “Ciaccona” von Joh. Seb. Bach für die Violine allein, den lautesten Beifall und die Ehre des oftmaligen Hevorrufens erwirkten. Was wir in Nr. 6 dieser Blätter zum Verdienste dieses sehr talentirten jugendichen Virtuosen bei Beurtheilung seines 1. Konzertes gesagt haben, finden wir in den sehr anerkennenswerthen Leistungen seines 2. Konzertes neuerdindgs auf das überzeugendste bestätiget; wir finden uns höchst befriediget durch die lobenswerthe Wahl klassischer Konzertvorlagen, befriedigt durch die Einheit, somit Klarheit und den wohlthuenden Fluß, welche seine Leistungen durchweg auszeichnen, befriedigt durch eine staunenerregende Sicherheit und Bravour im Bunde mit einer reinen Intonation und großem, markigem Tone, und wünschen ihm, der sich auf dem besten Wege in seinem Kunststreben befindet, schon im Vorhinein vom ganzen Herzen Glück zu jener Genugthuung, deren sein großes Talent und sein eifriges Mühen auf die lohnendste Weise dann einst theilhaftig werden wird, wenn als eine Frucht des fortschreitenden geistigen Verständnisses, das innere Gefühlsleben eine höhere Potenz und Weihe erreicht haben, und die Technik der gesteigerten Empfindung einmal untergeordnet sein wird, woraus allein nur das richtige Verstehen der feinsten sinnigen, zarten und bezaubernden Nuancen und Coloraturen entkeimt, wie solche in den Werken von klassischen Tondichtern so häufig vorkommen und im Vortrage somit von großem Belange zur Erzielung eines größeren Totaleffectes sind.
Als Konzertbeigaben hörten wir 2 Gesangstücke von Otto Nicolai, gesungen von Frln. Bury in gediegener Weise, dann eine Bravourarie aus “Othello” von Rossini, von Hrn. Wieselmann in sehr manierirter Weise und in der tiefen Lage mit unerquicklicher Stimme, dagegen aber in der höheren mit Kraft vorgetragen; erstere fand vielen wohl verdieneten, letzterer vielen freunschaftlichen Beifall. — Mit wahrem Vergnügen sehen wir wahrscheinlich noch einem Konzerte des Hrn. Joachim nach seiner Rückkunft von Pesth, wohin er sich ehestens begibt, entgegen.
Carl Schmidt.
***) Ungeachtet dessen glauben wir doch, daß die feurig aufwallende Fantasie und die jugendliche Leidenschaflichkeit den Virtuosen zu einem schnelleren Tempo hingerissen, als es der Charakter der Composition erheischt; denn bei einem Konzertstücke, wo das Accompagnement, namentlich die Blasinstrumente so konzertant gesetzt sind, wie bei Mendelssohn‘s Violinkonzert, muß der Solospieler immer auch die Möglichkeit einer präcisen Ausführung von dieser Seite im Auge haben, wenn er es sich auch zutraut die Passagen im beschleunigten Tempo rein und fehlerlos herauszubringen, wie es bei Hrn. Joachim der Fall war.
d. R.
Wiener Allgemeine Musik-Zeitung 1846
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