Concert: Vienna, January 11, 1846, Musikvereinssaal

 Ludwig August Frankl (ed.), Sonntagsblätter, Vol. 5, No. 3, Vienna: 18 January, 1846, p. 59-60.

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JJ Initials

Josef Joachim

             So ist’s recht! Muß man denn einen großen Kopf und lange Beine, oder erst zwanzig Jahre herummusizirt haben, um ein gescheidter Künstler zu sein? Nicht nur in der Virtuosität, auch in der Solidität des musikalischen Strebens werden jetzt die Erwachsenen von den Unerwachsenen übertroffen. Dieser Joachim muß doch ein rechtes und echtes Künstlertalent sein, sonst würde er nicht mit Beethoven und Bach hier sein Konzertspiel anfangen, damit pflegen sonst Konzertgeber nicht nach Publikum zu angeln. So dachte ich, als ich zum ersten Male das Programm des jungen Violinisten las, welcher Sonntag am 11. im Musikvereinssaale sein erstes Konzert gab. Und so traf es auch ein; er ist ein ausgezeichnetes Talent, hat eine ausgezeichnete Schule, eine ausgezeichnete Richtung und eine ausgezeichnete Kunstliebe. Bei der großen Verflachung gegenwärtiger Konzertmusik ist, um wieder vorwärts zu kommen, das Gerathenste, einen Schritt vorwärts zu machen. Auf Bach und die ihm Gleichgesinnten zurük [sic] zu kommen, könnte das verdorbene Blut unserer Konzertmusik-komponisten wieder etwas reinigen, und den fadgewordenen Geschmak [sic] wieder verbessern. Zwar ist nicht zu hoffen, daß sich das Publikum gleich an die guten Alten wieder gewöhnen, aber nach und nach ginge es, besonders wenn die Neuen in ihrem komponistischen Bestrebungen sich die guten Alten zum Muster nähmen, welche in allen ihren Produkten immer mehr die Musik als die Musiker im Auge hatten, sie studirten, und ihnen nacheiferten. Vos exemplaria graeca manu versate diurna, versate nocturna!

Wie Joachim das Edle, Tüchtige, Kernige und Gediegene liebt, so ist auch sein Vortrag edel, tüchtig, kernig und gediegen. Im Plunder der neueren Konzertstüke [sic] ist eine der schönsten Eigenschaften, welche ein Violinspieler haben soll, Kraft und Vollklang des Tones untergegangen. Bei Joachim gewahren wir mit Vergnügen jene breite und markige Gestaltung des Tones, welche niemals in undeutliche, halbe oder unreine Pronunziazion, in affecktirte Winselei übergehen kann. Ein Violinspieler mit starkem Tone kann zwar etwas schroff, aber nie unschön in seinem Spiele werden, wird niemals distoniren. Ich kenne Wenige, welche diesen Vorzug mit Joachim theilen. Aber kostbarer noch für künstlerische Darstellung, und daher schätzenswerther ist die geistige Erfassung, und der Gefühlsstrom seines Vortrages. Wie durchdacht und zugleich empfindungsbeseelt war seine Ausführung des Larghetto von dem Beethoven’schen Konzerte, wie anschaulichklar der Karakter der Allegro hervorgehoben, dessen Vortrag durch eine Kadenz, die mit künstlichen und originellen Tonverschlingungen und Figurenkonstrukzion doch in sehr gelungener Weise sich dem Hauptinhalte des Beethoven’schen Satzes anschließt, noch verschönt wurde. Meisterlicher noch war die Ausführung der “Ciaconna” von Bach. Ich kenne kein Herrlicheres, Prachtvolleres, im Wiederschlage und in der Zwischenharmonie Ueberraschenderes, als diese Fuge, welche in Bezug auf die Beschäftigung der linken Hand des Spielers immense Schwierigkeiten bietet. Bei Joachims Vortrag dieser Komposizion weiß man nicht, ob man mehr den Geist und die Vollendung des Spieles, oder die kraftbeharrende Ausdauer des Spielers mehr bewundern soll. Ein drittes Stük, welches Joachim vortrug, waren Variazionen über ein russisches Thema von David, welche nur durch die vortrefflichen Strichformen, durch die schöne und breite Gestaltung des Kantabile, wie es unser junger Künstler besitzt, zu solch beifallreichem Anwerth gelangen konnten, wie es hier der Fall war. Fassen wir noch in Kurzem unser Urtheil über Joachim zusammen: er ist ein Künstler ersten Ranges, obwohl noch nicht 15 Jahre alt, sein Streben ein meisterhaftes, seine Zukunft eine der glanzvollsten, ihn auf die höchste Stufe der Kunst des Violinspieles insbesondere und der Tonkunst überhaupt führend. Der Eindruk, welchen er auf seine zahlreichen Zuhörer machte, war ein mächtiger. Aus Verehrung und verdienter Achtung für seinen Lehrer und Leiter Mendelssohn-Bartholdy ließ er mit dessen herrliche Ouverture zum “Sommernachtstraum” sein Konzert eröffnen. Dlle. Treffz sang 2 Lieder und eine französische Romanze in anmuthiger Weise.

J. Plank.

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