Zeitung für Norddeutschland; Hannoversche Morgenzeitung, No. 1137, (Sunday, May 22, 1853).

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Vermischtes

Joachim in Düsseldorf.

Das Musikfest in Düsseldorf vereinigte eine Anzahl ausgezeichneter Künstler, die durch ihre Leistungen den Ausländern Achtung, Lob, Bewunderung, Entzücken abzwangen. Alle Stimmen, die sich in deutschen und außerdeutschen Blättern darüber hören lassen, sind in der unbedingtesten Bewunderung des Concertmeisters Joachim einig, an dem Hannover im vorigen Herbste eine Notabilität gewonnen hat, die nicht erst der lauten Anerkennung des Auslandes bedurfte, um bei uns der ungetheiltesten Bewunderung theilhaft zu werden. Etwas von dem Enthusiasmus, den der Künstler mit seinem zauberischen Spiel bei den Tausenden weckte, die ihn in der Düsseldorfer Tonhalle mit verhaltnem Athem lauschten, und die nun seinen Ruhm nach allen Winden tragen, etwas von diesem Enthusiasmus wirkt aber doch auf Hannover zurück. Möge es nicht dazu beitragen, die böse Befürchtung zu bewahrheiten, daß der Künstler, den wir immer nur als einen flüchtigen Gast bei uns betrachteten, die Flügel regt und sich aufschwingt, um anderswo als in dem “kalten Hannover” sich niederzulassen. Wir theilen einen Brief unseres rheinischen Correspondenten mit, der sich sonst nicht viel um Musik kümmert, und lassen den Bericht der Independance belge folgen, die Joachims Ruhm jetzt dahin trägt, wohin sonst die französischen Journale reichten — durch ganz Europa! Unser rheinischer Freund schreibt:

Düsseldorf. Ich denke mir, es wird Ihnen und Ihren Landsleuten Freude machen, wenn Sie aus dem Munde eines musikalischer Begeisterung wenig Zugänglichen hören, daß auch er sich von dem großartigen Spiele Ihres Landsmanns Joachim mir hat fortreißen lassen, oder besser, daß auch ihm diese würdige Auffassung der Kunst im Herzen wohl gethan hat. Das ganze Düsseldorfer Pfingstconcert war schön und würdig. Die Meister, die es geleitet, Hiller und Schumann, die großen Künstler, Clara Novello, Clara Wieck-Schuhmann [sic], Koch, von der Osten, Salomon, verdienen alle die unbedingteste Anerkennung. Selten wurden Händel, Gluck, Beethoven so vollkommen wiedergegeben, so großartig ausgeführt. Aber trotz alledem wurde das Spiel Hrn. Joachims am dritten Tage der wahre Brennpunkt des ganzen Festes. Wir haben kaum einen ähnlichen Erfolg eines Künstlers erlebt, obgleich wir zufällig einige der größten Meister in den ersten Hauptstädten Europas ihre besten Triumphe feiern sahen. Es war nicht so toll, wie bei Liszt, nicht so übersprudelnd wie bei der Lind. Der Jubel nach Herrn Joachims Spiel war groß, sehr groß und allgemein, aber die Leute waren alle bei Verstand geblieben, die klarste Hochachtung, die freudigste Theilnahme und das unabweisbare Gefühl eines großen, schönen und reinen Kunstgenusses beherrschte die Menge. Dieses Gefühl sprach sich in endlosem Beifallrufe aus. Selbst die großen Künstler, die nach Hrn. Joachim auftraten, waren von diesem Gefühle so beherscht, daß sie nicht mehr Herr und Meister ihrer vollen Kraft waren, daß Hiller s. B. seine Fantasie aufeinmal mit einer Bewegung und einem Ausrufe abbrach, in denen sehr klar lag: “Nach einem Beethovenschen Concert von Joachim vorgetragen, hört Alles auf!”

Soll ich Ihnen nun auch meine bescheidene und unmaßgebliche Ansicht über das Geheimniß dieses großen Erfolges mittheilen? Herr Joachim besitzt alle Kunstfertigkeit des neuen Virtuosenthums in der höchsten Vollkommenheit, ohne eine Virtuose sein und den Virtuosen überall hervorkehren zu wollen. Er wendet alle seine Kunstfertigkeit darauf, — nicht seine besten Kunststückchen so oft als möglich und überall wo sie nicht hingehören anzubringen, — sondern sie dem Kunstwerke zu widmen, das ihm ein großer Meister zur Darstellung hinterlassen oder übergeben hat. Sein Spiel ist die höchste Kunstfertigkeit im Dienste der schlichtesten, einfachsten, naturgemäßesten und deswegen auch schönsten Kunstauffassung. Es ist eine Rückkehr mit allen Errungenschaften des Virtuosenthums zur Natur und Kunsteinfalt. Die Virtuosen spielen meist sich selbst, Herr Joachim spielt in der allerhöchsten Vollkommenheit und Naturwüchsigkeit ein Meisterwerk Beethovens. Es ist dem gewandten Künstler nicht schwer die meisten Virtuosen zu carrikiren, zu spielen à la Beriot, à la Ernst, à la Paganini, — aber ich denke, es wird kaum möglich sein, Hrn. Joachim die Ehre der Carrikatur zu Theil werden zu lassen. Wenn dieser Mann anderswo einen ähnlichen Erfolg hat, wie hier in Düsseldorf, so fängt mit ihm eine neue Periode der ausübenden Musik an, und zwar die der Kunstfertigkeit im Dienste der Kunst; — so hört mit ihm die Periode auf, in der die Kunst zur Seiltänzerin werden zu müssen bedroht war.

Die Independance widmet dem Künstler folgende ehrende Zeilen:

“Der “Löwe” des Festes ist Joachim. Seit zehn Jahren war uns dieser Name bekannt. Mendelssohn hatte ihn in London unter seinen Schutz genommen, wo der junge Joachim Wunder that. Seitdem ist das Wunderkind ein Künstler geworden, ein sehr bedeutender Künstler. Zögling von David und Spohr, gereift an den Rathschlägen und der Freundschaft Mendelssohns und Liszts, verwirklicht Joachim bereits das höchste Ideal, das man träumen kann. Das colossale Concert von Beethoven wird unter seinem magischen Bogenstrich noch gewaltiger. Die Erhabenheit des Stils, die Größe des Ausdrucks, die Gedankentiefe des Meisters, das alles hat Joachim verstanden und er giebt das alles mit der Einfalt des Genies und der warmen und innigen Leidenschaft des großen Dichters wieder. Die Vergleichungen in Sachen der Kunst taugen nichts, die Parallelen sind nicht anwendbar, den die angewandten Mittel sind verschieden, und doch fallen einem die berühmtesten Namen ein, wenn man mit Wort und Schrift ausdrücken will, daß Joachim der größte Violinist der Gegenwart ist. Vieuxtemps — wir können der Versuchung nicht widerstehen — Vieuxtemps ist ein Virtuose, der unbestreitbar in erster Linie steht und seinen Ruhm erhöht noch die wohlbegründete Achtung, die man seinem Talent als Componist schenkt; aber hörte Vieuxtemps Joachim in dem Concerte von Beethoven, wir sind gewiß daß er nicht mehr spielen würde; Joachim, der die Vieuxtempschen Concert nicht componiren würde, würde in den innersten Gedanken des Autors eindringen und sie ausführen. Wir werden nichts von dem Erfolge Joachims sagen; es war französischer Wahnsinn, italienischer Fanatismus und das in dem kalten Deutschland. Uns schwindelt noch davon. Sie werden, das ist unser heißer Wunsch, eines Tages den berühmten ungarischen Violinisten hören, sie werden den wunderbaren Orgelklang hören, wenn er alle melodische Gedanken Beethovens wiederholt, sie werden eine in Octaven niedersteigende chromatische Tonleiter hören, die die zweitausend Hörer aufschreien ließ, als ob ihnen der Bogen des Künstlers das Rückenmark hinablaufe (dieser bizarre Vergleich kann und muß sonderbar erscheinen; ich habe ihn nicht gesucht, aber er drückt zu gut die unbeschreibliche Empfindung aus, als daß ich ihn nicht hätte wagen sollen). Sie werden Joachim in der ganzen Kraft und Reife des Talents hören — er ist 23 Jahr alt — und wenn sie jetzt über unsern Enthusiasmus vielleicht lächeln, jener Tag wird ihen unsere Prophezeiung ins Gedächtnis rufen, und das wird unsere einzige Rache sein.” Er schließt seinen Bericht mit den Worten: “Händel, Gluck, Beethoven, Joachim, wo werden wir euch wiederfinden? In Köln oder Aachen? Wir kommen!”