“Göttingen im August,” Rheinische Musik-Zeitung für Kunstfreunde und Künstler, Vol. 4, No. 178 (September 14, 1853), pp. 1338-1339.
Göttingen in August
The presence of concertmaster Joachim in Göttingen is for us an occurrence that shall remain unforgettable for all. He, toward whom all eyes of the art world are turned, has lived here modestly, like any other student, even though the eminence of his character — in a word, his stature as a human being, as with all artists — cannot escape anyone who has been fortunate enough to be close to him. Together with music director Wehner, he attended his lectures with unremitting diligence, and this enthusiasm remains an exemplary model for all artists. At the same time, Joachim gave music its due, and we were privileged to be able to hear and admire him in three soirées that Wehner arranged.
The first soirée brought us a Mozart sonata, to the beautiful and graceful performance of which the audience listened with greatest satisfaction. After an exquisite preludium of Bach, in which he allowed us to admire the magnitude and variety of his tone, even more lively applause greeted a caprice with variations [Op. 1, No. 24] of Paganini, brilliantly conceived and inimitably played. Unsurpassable, though, and the crown of the evening, remained the grand sonata op. 47 of Beethoven, performed by Joachim and Wehner. It can only be played thus where both artists are imbued, as here, with love and reverence for Beethoven. Whenever he plays [Beethoven], Joachim works such an indescribable magic that even unmusical souls cannot resist it. One no longer thinks at all of technique — one feels only how he speaks from heart to heart through the magic tones of his fiddle, and thus reveals a new understanding of the works of the greatest German master. Joachim was recalled repeatedly at the end. —
The second soirée gave us no fewer beautiful pleasures. To begin, a concerto by Bach for two pianos, performed by Wehner and a young, very promising, talent, J. Brahms from Hamburg. Admittedly, the concerto, with its serious character and contrapuntal development, has no doubt more interest for the musician than for larger audiences; nevertheless, the widespread regard for it demonstrates that, here in Göttingen, where Forkel long worked, his successor Wehner knows how to nourish the taste for serious music. The following trio in G Major for stringed instruments delighted the audience to an unusual extent. Joachim’s enthusiasm so carried over to his colleagues that the performance could be called outstanding. A Romanze for piano and violin, composed by Joachim, subtly and deeply felt, and felicitously performed, received its well-earned applause. To say anything about the Chaconne of Bach that he subsequently played would be to carry coals to Newcastle [“to carry owls to Athens”].
If the first two soirées already delighted us in so many ways, this was to an even greater extent the case in the third soirée. Here, Joachim’s masterful playing carried along his fellow players in a Beethoven quintet to an extent that this great work has seldom been heard with such satisfaction. The familiar Schumann Quintet in E-flat Major, in which the piano part was excellently played by Wehner, was also performed with great effect. A duo by Spohr, played by Joachim and a student of Spohr’s, the Court Musician Kömpel from Hannover, elicited special interest, since Joachim once more showed us how well he understands each composer’s unique qualities, and so, the duo, which was also well played by Mr. Kömpel, was so complete in its perfection that one had wished that old master Spohr could have heard his composition played in such an ideal manner. At the conclusion, Joachim and Wehner made the most moving impression by their soulful performance of a simple Lied im Volkston by Schumann; tones that penetrate so deeply into the inner reaches of the heart have surely seldom been coaxed from the violin. Of surprising effect was the last piece, which Joachim played for violin solo: the “Erlkönig,” arranged by Ernst. Since Paganini, one has not heard the like; all the horrors of the fantastic song ran through the listeners; astounding difficulties were dispatched as though by magic. The songs of the Erlkönig’s daughters cajoled and beckond in the ear until the child’s cry of pain caused everyone to tremble. —
In addition to the stormy applause, women gave Joachim the most beautiful gift of flowers, in thanks for everything that he had so splendidly given.
May I be allowed to add the wish that our capable music director may succeed in bringing Mr. Joachim here frequently; that it is particularly desirable at a university to perform for youthful scholars with such seriousness, and in such artistic perfection, as occurred with these artists — only thus can it come into its own, and create the impression that is its purpose, and by which it leads to the education and ennoblement of striving youth.
Göttingen im August.
Die Anwesenheit des Concertmeisters Joachim in Göttingen ist für uns ein Ereignis, dass Allen unvergesslich bleiben wird. Er, auf den in der Kunstwelt jetzt alle Augen gerichtet sind, hat hier anspruchslos gelebt wie jeder andere Student, wenn gleich Jedem, der so glücklich wahr ihm nahe zu kommen, das hervorragende seines Wesens, mit einem Wort seine Bedeutenheit als Mensch, eben so sehr wie alle Künstler, nicht entgehen konnte. Mit unasugesetztem Fleiss besuchte er mit seinem Freunde, Musikdirector Wehner, die Vorlesungen, und bleibt dieser Eifer ein nachahmenswerthes Beispiel für alle Künstler. Dabei liess Joachim aber auch der Musik ihre Rechte, und ward es uns vergönnt ihn, in drei von Wehner veranstalteten Soiréen, hören und bewundern zu können.
Die erste Soirée brachte uns eine Mozart’sche Sonate, deren schönen und graziösen Durchführung das Publikum mit höchster Befriedigung lauschte. Noch lebhaftere Beifallsbezeugungen erregten nach einem köstlichn Präludium von Bach, in dem er uns die Grösse und Vielseitigkeit seines Tons bewundern liess, ein Capriccio und Variationen von Paganini, höchst genial aufgefasst und unnachahmlich gespielt. Unübertrefflich aber und die Krone des Abends blieb die grosse Sonate op. 47 von Beethoven, vorgetragen von Joachim und Wehner. Nur, wo beide Künstler so wie hier von Liebe und Verehrung für Beethoven durchdrungen sind, kann sie so gespielt werden. Wenn er ihn spielt, so übt Joachim einen so unbeschreiblichen Zauber aus, dem selbst unmusikalische Seelen nicht zu widerstehen vermögen. Man denkt durchaus nicht mehr an die Technik, man fühlt nur wie er durch die Zaubertöne seiner Geige von Herzen zu Herzen redet und so ein neues Verständniss der Werke des grössten deutschen Meisters erschliesst. Am Schluss wurde Joachim wiederholt gerufen. —
Die 2te Soirée gab uns nicht minder schöne Genüsse. Zuerst ein Concert von Bach für 2 Flügel; vorgetragen von Wehner und einem jungen vielversprechenen Talente J. Brahms aus Hamburg. Hat das Concert, dessen grossartiger ernster Charakter und seine contrapunctische Durchführung freilich wohl für den Musiker mehr Interesse als für das grössere Publicum, so zeigte die allgemeine Aufmerksamkeit, dass hier in Göttingen, wo einst Forkel lange wirkte, auch sein Nachfolger Wehner eben so den Sinn für ernste Musik zu nähren weiss. Das folgende Trio in G dur für Streich-Instrumente erfreute auf ungewöhnliche Weise das Publikum. Joachim hatte auch hier von seiner Begeisterung auf die Mitwirkenden übertragen, so dass die Ausführung eine augezeichnete zu nennen war. Eine Romanze für Pianoforte und Violine, componirt von Joachim, fein und tief empfunden und trefflich vorgetragen, fand den verdienten Beifall. Ueber den Vortrag der alsdann noch von ihm gespielten Ciaconna von Bach etwas zu sagen, hiesse Eulen nach Athen tragen.
Hatten uns nun die beiden 1sten Soirées schon so vielfach erfreut, so war dies noch im erhöhter Maasse bei der 3ten Soirée der Fall. Joachim’s geniales Spiel riss hier die Mitspielenden in einem Beethoven’schen Quintett wieder dermaassen mit sich fort, dass man dieses grosse Werk selten befriedigender gehört hat. Von grösster Wirkung war auch das bekannte Schumann’sche Quintett in Es dur, in welchem die Pianoforte-Partie von Wehner trefflich gespielt wurde. Ein Duo von Spohr, von Joachim und dem Hofmusikus Kömpel aus Hannover, einem Schüler Spohr’s vorgetragen, erregte besonders Interesse, da Joachim uns wieder zeigte wie er jeden Meister in seiner Eigenthümlichkeit vollendet auffasst und so war das Duo, welches auch von Hrn. Kömpel sehr gut gespielt wurde, ein so vollendetes Ganze, dass man es dem Altmeister Spohr gewünscht hätte, seine Composition so vollkommen zu hören. Am Schluss machten Joachim und Wehner, durch den seelenvollen Vortrag eines einfachen Liedes im Volkston von Schumann, den ergreifendsten Eindruck; solche zum innerstem Herzen dringende Töne wurden wohl selten der Geige entlockt. Von überraschendem Effect blieb jedoch die letzte Piece, die Joachim noch für Geige allein spielte: der “Erlkönig” von Ernst arrangirt. Seit Paganini hörte man nichts Aehnliches; alle Schrecken des fantastischen Liedes durchdrangen die Zuhörer, unerhörte Schwierigkeiten wurden gelöst wie durch Zauberhand, die Gesänge von Erlkönigstöchtern drangen schmeichelnd und lockend ans Ohr, bis der Schmerzensschrei des Kindes Alles erbeben liess. —
Zum Dank für Alles was Joachim Herrliches gegeben, ward ihm zuletzt neben stürmischen Beifall, die reichste und schönste Blumenspende aus dankbaren Frauenhänden zu Theil.
Es sei mir nun noch vergönnt, den Wunsch hinzuzufügen, dass es unserm verdienten Musikdirector gelingen möge, H. Joachim zu veranlassen öfterer wieder hierher zu kommen, da es namentlich auf einer Universität so wünschenswerth ist, dass der studirenden Jugend die Kunst in solchem Ernst und so künstlerischer Vollendung vorgeführt werde, wie es von den beiden Künstlern geschah — so nur kann sie in der jetzigen Zeit zu der Geltung kommen und die Wirkung ausüben, zur der sie berufen ist, und die zur Blidung und Veredlung der strebenden Jugend führt.