Herman Grimm: Poem on the 60th Anniversary of Joachim’s Début


Joseph Joachim
Zur Erinnerung an den 17. März 1839

Vor sechzig Jahren, als es Frühling war,
Da stand ein Kind in lichtem Lockenhaar,
Vielhundert Augen sah es auf sich blicken,
Sie schienen Mut ihm freundlich zuzunicken;
Die kleine Geige nahm es unter’s Kinn,
Den Bogen setzt’ es auf die Saiten hin:
An diesem Abend klang zum erstmal
Dein Saitenspiel im weiterdrängten Saal.

Und jene Jahre sind Dir dann gekommen,
Wo Mendelssohn Dich an die Hand genommen,
Als Hauptmann’s treue Lehre Dich geleitet,
Als Deine Schritte Schumann’s Gang begleitet:
Zur Sonne war’s ein freier, hoher Flug,
Der damals ihn und Klara aufwärts trug,
Und fast wie Sage ist es schon zu lesen,
Wie ihre Schüler Du und Brahms gewesen.

Und als Du dann Dein eignes Reich gegründet,
Mit wie viel Freunden warst Du da verbündet!
Als Bülow Dich, Dich Liszt in Weimar fand,
Und Andre, tief im Herzen Dir verwandt.
Und in dem jugendlichen Weimar klang
Wie in den alten Tagen des Gesangs,
Und in das Brunnenrauschen mischt’ sich wieder
Nachts das Getön der Saiten und der Lieder.

Ein ferner Traum ist das. Doch Du strebst da —
Die Welt blieb jung und Deinem Herzen nah —
Ein Kind, wie es vor sechzig Jahren stand,
Und Kraft und Anmuth führen Deine Hand:
Nur leise, wenn der Beifall Dich umrauscht,
Klingt noch der Ton mit, dem Du einst gelauscht,
Die Stimme derer, die vor langen Jahren
Dir Beifall riefen als sie mit Dir waren.

Doch nicht zu diesen wende Deinen Blick
Erinnerungsvoll in’s Dämmerlicht zurück,
Auch die vergiß , die Dir mit tausend Händen
Von Tag zu Tag den Dank im Sturme senden:
Du selbst sollst heute Deines Beifalls Zeichen
Hier Deinen Schülern, Deinen Freunden reichen,
Die Dir zu Ehren jetzt ihr Loblied singen:
Dem Meister, dessen Lehre sie empfingen.

Was Lehre geben kann, Du lehrst es sie:
Beethoven’s überird’sche Melodie,
Schumann, qualvoll entzückt sein Herz zerreißend,
Bach, klar und still das Höchste uns verheißend,
Und Mozart’s himmlisch heitres Tongedränge,
Als ob das Lied der ew’gen Freude klänge,
Und all’ die Andern, die in lichten Scharen
Einst ihre Schüler, ihre Meister waren.

Du lehrtest sie’s! Und nun sind Alle nah,
Als Schüler sitzen sie noch einmal da:
Was sie gelernt, sie möchten’s gern Dir zeigen,
Als Schüler wollen sie noch einmal geigen,
Was Weber’s letzte Kräfte einst gesungen,
Als er mit hartem Schicksal hart gerungen,
Das Jubellied, das wie der Frühlingswind
Emporrauscht — Setzt die Bogen an! — Beginnt!

(Ouvertüre zur Euryanthe.)

Herman Grimm.
(4. April 1899.)

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Beryl Gardiner’s Copy via her daughter Miss Olive B. Lanyon
(Private Collection)
Thanks to James Church for the images


Joseph Joachim to Herman Grimm

[Berlin] 21. April [1899]

Lieber Herman.

Nicht genug kann ich Dir’s danken, daß Du mir Deinen Prolog schon gestern gönntest; denn morgen hätte ich wohl Freude, aber nicht den rechten Genuß davon gehabt. Du hast so schlicht und doch tief empfunden über meine Erlebnisse gesprochen, in so schöner Harmonie unsere großen Meister anklingen lassen, selbst ein Meister der Poesie, daß es mich stets liebevoll daran denken lassen wird. Ich wollte Dir gestern mündlich meine Freude über Dein freundschaftliches Thun aussprechen, leider fand ich Dich nicht, und heute dürfte es mir um dieselbe Zeit ebenso gehen. Du hast hoffentlich mein Blumensträußchen erhalten, das ich von Damen aus dem Schul-Chor erhalten, die mich gerade zuvor reizend angesungen hatten.

Das Orchester soll überwältigend klingen; die vielen lieben alten Gesichter wieder zu begrüßen tut mir wohl! Lasse mir sagen, wie es Gustchen geht, die nun zu meinem Kummer nichts hören wird.

In treuer Dankbarkeit

Dein

Joachim

[Joachim/BRIEFE III, pp. 493-494]