Neue Zeitschrift für Musik, vol. 35, no. 26 (December 26, 1851): 285-286.


Wir gehen einstweilen zu einem erfreulichen Gegenstande über, dem vorzüglichen Kunstgenuß, welcher uns durch eine Reihe seit zwei Jahren entbehrter Quartettabende geboten wurde. Der seltene Verein von vier, jedes in seiner Art, ausgezeichneten Talenten, unterstützt von einem auf den belebenden Einfluß unseres nicht genug zu schätzenden Joachim gegründeten, seit lange im Privatkreise sorgsam gepflegten und polirten Ensemble, berecthigte uns freilich auch zu Erwartungen ungewöhnlicher Art.

Daß Joachim einer der ersten lebenden Geiger ist, daß sein voller und dabei so durchsichtiger in Ton, seine meisterhafte Technik, welche seit vielen Jahren schon keine Schwierigkeiten mehr kennt, seine echt künstlerische und geniale Auffassung der verschiedensten Tonsetzer ihn wahrscheinlich noch höheren Ausprüchen berechtigen, ist bekannt; Coßmann’s Spiel zeichnet sich vor dem aller anderen Violoncellisten dadurch aus, daß er seine große Virtuosität, seinen geschmackvollen, eleganten Vortrag nie zu der wahren Kunst fremden Nebenzwecken mißbraucht, daß er in der Beherrschung des Instrumentes z. B. Rietz, an künstlerischem Geiste Servais weit übertrifft. H. Stöhr ist als Violinspieler und Componist leider nicht so allgemein bekannt, als er es verdient. Eine gewisse

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unerklärliche Befangenheit beim Solovortrag — ähnlich der, an welcher Henselt litt, — hat ihn verhindert, seine vorzüglichen Eigenschaften vor der größeren Oeffentlichkeit zur Geltung zu bringen; in den Stücken mit Clavierbegleitung, wo er erste Geige spielte, verschaffen sie sich anerkennende Bewunderung. Hr. Stör ist jetzt an des pensionirten Eberwein Stelle Musikdirector geworden. In allen Gebieten des Orchesters zu Hause, mit frischem, regem Eifer, edlem künstlerischem Streben begabt, wie er ist, hat er uns in seiner Antrittsdirection der “Preziosa” zu erfreulichen Hoffnungen berechtigt. Hr. Walbrül (Bratsche) ist ebenfalls ein tüchtiger Künstler, der durch seine vielseitigen Talente mehr als einen Platz ausfüllt. Im Orchester fungiert er bei der Violine und bei den neueren Opern, z. B. den Wagner’schen, als Baßclarinettist. Er leistet das Rühmlichste in allen diesen Fächern; in dem letzteren namentlich sind wir ihm nicht am wenigsten Dank schuldig, da in mehreren auf ihr Orchester sehr eingebildeten Städten noch heute das unedle Fagott die herrliche Baßclarinette ersetzn muß. — Rechnet man zu diesem Ensemble noch die geistige Mitwirkung Franz Liszts, die wir auf die Gefahr hin hierorts der Indiscretion beschuldigt zu werden, nicht umhin können zu erwähnen, da die hohe Intelligenz des Meisters dem Ganzen eine Feinheit der Nüancirung verleiht, welche, wenn auch der Laie von ihrer Qualität sich keine bestimmte Rechenschaft geben kann, doch so wichtig für die Totalwirkung ist, so wird man uns nicht der Uebertreibung anklagen, wenn wir sagen, daß die Weimar’schen diesjährigen Quartettabende etwas Exceptionelles bieten, was nicht leicht oder vielmehr gar nicht anderwärts gefunden werden dürfte. Die vortreffliche Auswahl des Programmes geht Hand in Hand mit der vollendeten Ausführung. Die erste Soirée (18 Nov.) brachte uns mit schuldiger Rücksicht auf das Herkommen Quartett von Haydn, B=Dur, das gesangreiche G=Moll Quartett von Mozart und das F=Dur Quartett von Beethoven (Op. 59, Nr. 1). Am 9ten December hörten wir eine treffliche Zusammenstellung moderner Meisterwerke: das Schubert’sche D=Moll Quartet, das Schumann’sche Clavierquintett in Es=Dur — der Clavierpart wurde von Hrn. V. Bülow, Schüler Liszt’s, wie es schien mit Liebe zur Sache und der Aufgabe gewachsenen Kräften ausgeführt — und das Octett von Mendelssohn. Der Abend des 16ten December brachte Gade’s G=Moll Quintett, ein recht schönes, aber etwas nordisch=monotones Werk, Mendelssohn’s G=Moll Trio von dem jungen trefflichen Clavierspieler Winterberger, der, seitdem er nach Weimar in Liszt’s Schule gekommen ist, ein ausgezeichneter Pianist zu werden verspricht, und Beethoven’s F=Moll Quartett, Op. 95 diese gedrängte Emanation des herrlichen Genius aus einem Gusse. Für den 30sten Decbr., die letzte Soirée, stehen uns drei Beethoven’sche Quartette aus seinen verschiedenen Schöpfungsperioden bevor, das A=Dur Quartett (Op. 18) das sogenannte Harfenquartett aus Es=Dur (Op. 74) und das große Eis=Moll Quartett (Op. 131). Das für die Geschmacksläuterung des Publikums so wohlthätige Werk findet allgemeinen Anklang, ungeachtet der ziemlich hohen aber angemessenen Eintrittspreise. Daß dies der Fall, haben wir dem Kunstsinn des Hofes, d. h. der großherzoglichen Familie zu danken, deren sämmtliche Glieder bis jetzt jedes Mal vom ersten bis letzten Tone mit wahrer Andacht zugehört haben, eine so seltene Erscheinung, daß wir auch keinen Anstand nehmen, — honny soit qui mal y pense — die Achtung auszusprechen, welche und diese anspruchslose Mäcenasschaft einflößt, in einer Zeit, wo das Gedeihen der Kunst auf naturwüchsigem Wege aus dem Volke heraus, leider zu den Unmöglichkeiten gehört.