Der Leipziger Illustrierte Wochenschrift, Verlag: Lauer & Cie. Nr. 34, 2 Jahrg. Leipzig, 24 August 1907
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Joseph Joachim †
Im Alter von mehr als sechsundsiebzig Jahren, ist am 15. August Joseph Joachim, der “König der Geiger,” und im weiteren Sinne der einzige aus einer großen Epoche herüberragende Vertreter der klassischen Musik in unserer um neue Ideale in der Kunst ringenden Zeit, dahingegangen. Um Geburstorte Bachs, dessen tiefe Kunst gerade Joachims Energie und Begeisterung wieder volkstümlich gemacht hat, sang er sein letztes Lied, und es ist ein seltsames Spiel des Schicksals, daß sich in beiden Personen die Fäden von Eisenach nach Leipzig und von Leipzig nach dem Thüringer Lande spinnen. War Bach als Thomaskontor und Begrunder der sogenannten “Großen Konzerte” im damaligen Gewandhaus in Leipzig zur eigentlichen Reife gelangt, so hatte auch Joseph Joachim das Beste seiner Kunst, die Reinheit und Lauterkeit seines Empfindens, den Adel seiner Auffassung der Erziehung an unserem Konservatorium und im Gewandhausorchester zu verdanken. Als zwölfjähriger Wunderknabe ließ sich Joseph Joachim zum erstenmal im Jahre 1843 zu Leipzig hören. Sogleich übernahm Felix Mendelssohn die weitere, eigentliche musikalische Ausbildung Joachims, während der ausgezeichnete Kontrapunktiker Moritz Hauptmann den Knaben in Theorie und Harmonielehre unterrichtete. Sieben Jahre, bis 1850, währte diese Lehrzeit. Joachim ward Mitglied des Gewandhausorchesters und sogar — er, der kaum Achtzehnjährige! — schon lehrer am Konservatorium. In dieser Zeit trat Joachim auch zu den damaligen Besitzern der berühmten Firma Breitkopf und Härtel in nahe Beziehungen. Und Joachim blieb in dankbarer Erinnerung an das, was er in Leipzig empfangen hatte, unsrer Stadt treu. Fast zwei Menschenalter hindurch war er der ständige Solist der Neujahrskonzerte im Gewandhaus, auch mit seinen berühmten Quartettgenossen hielt er oft bei uns Einkehr, und seine reife, edle, keusche Kunst wird uns noch lange aus dem Spiele schier zahllosen Schüler — ein großer Teil sitzt heute an den Pulten des Gewandhausorchesters — entgegenleuchten über sein Grab hinaus.