Neue Freie Presse, No. 15439, (August 16, 1907), pp. 1-3

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Josef Joachim

So hat die düstere Ahnung nicht getrogen. Im März dieses Jahres war es, der alte Bösendorfer-Saal erstrahlte festlich, Joachim war wieder da. Die Adagio-variationen von Beethovens “Harfenquartett” erklangen, diese Schlußmusik zu”Faust”, dieser verklärte Aufstieg in immer höhere Himmelsregionen. Gerührt ruhte der Blick auf der Gestalt des Greises, der aus der Fülle inneren Erlebens spendete. Da sank plötzlich sein leicht zur Seite geneigtes Haupt zurück, das Auge schloss sich müde. Nur ein Moment; aber wie eine Vision erschien vor dem ergriffen Hörer das Bild des toten Joachim. Konnte das Unvermeidliche lange auf sich warten lassen? Seit einigen Jahren bereits genoß man den greisen Künstler wie eine Legende seiner selbst, und diesmal hatte schon die Ankündigung des Programms die Phantasie erregt. Alle sechzehn Streichquartette Beethovens! Wie eine letzte Ueberschau mutete es an, wie ein Abschied, wie ein Vermächtnis — und war es auch….

Beethoven, derart Joachims letztes Wort in Wien, war ja hier auch sein erstes gewesen. 1861, dreißig Jahre alt, trat er mit dem D-dur-Konzert zum erstenmale vor die Wiener. Es war das Stück, mit dem er förmlich verwuchs, das er restlos anzudrücken schien, wie jenes ihn. Der äußeren Wirkung nach war es das Manifest, mit dem der “Geigerkönig” den Thron bestieg, ein König und doch nur erster Diener im Reiche seiner Kunst. Er war darum auch nicht Beethoven-Spieler im Sinne jenes Spezialitätentums, das jetzt auf dem Gebiete der Instrumentalvirtuosität die Arbeit teilt. “Beethoven-Spiel” bedeutete bei ihm nichts anderes als die höchste und heiligste Kunstauffassung, die ihn eben auch zu dem Höchsten und Heiligsten zog, was die Kunst besitzt. Nur was Begeisterung erforderte und zuließ, reihte er Beethoven an: Bach, die älteren Italiener, Schumann, dann als Brahms in sein Leben trat, auch diesen Meister. Stets hat er nur Bedeutendem und Lauterem seine Kunst geweiht, nur edelsten Wein im goldenen Becher kredenzt. Sei daher gleich die oberste Bedeutung vorangestellt, die der Erscheinung Joachims zukommt: er hat am reinsten den Typus des modernen nachschaffenden Künstlers verkörpert, dessen Spiel ganz im Kunstwerke aufgeht. Ein selbstloses, ideales Musizieren; ein Abwerfen auch des letzten Virtuosenflitters. Und Joachim wurde nicht erst durch die Erkenntnis reiferer Jahre auf diese Höhe gehoben; schon in den Fünfzigerjahren wußte Moritz Hauptmann von dem jungen Manne zu berichten, daß bei ihm Technik, Ton zurücktrete, sich gar nicht bemerkbar mache, daß “man nur Musik höre”. Wie anders der zweite große Künstler, den Ungarn dem Virtuosentum geschenkt, Liszt, der Klavierkaiser! Von diesem Herrscher galt es: l’état c’est moi. Das Persönliche stellte sich neben das Kunstwerk, die Magie der Reproduktion blieb wirkend im Vordergrund. Der Prophet, der Wundermann vereinigte auf sich selbst den Hauptteil der Anbetung; bei Joachim vergaß man nie über dem Priester die Andacht vor dem verherrlichten schaffenden Geiste.

Kein Zufall darum, daß Joachim so frühzeitig neben den Konzertspieler den Quartettspieler treten ließ. Schon 1851, in Weimar, veranstaltete er Quartettabende, und 1869 gründete er in Berlin sein berühmt gewordenes Quartett. Es hat seine Mitglieder gewechselt, nie seinen Geist. Also nicht erst als alternder Virtuose, der auf ein künstlerisches Augedinge bedacht ist, noch in der Vollkraft des Wirkens, auf der Höhe des solistischen Ruhmes saß Joachim am Quartettpult. Dieses Sichselbstbescheiden wollte seinerzeit manchem nicht einleuchten, man konnte sich Joachim nicht recht im Quartett vorstellen, weil ihn die Natur als Solo gedacht habe. Richtiger gesehen, ist Joachim auch als Konzertsolist immer eine Art Kammermusiker gewesen. Freilich die Vereinigung von Konzert- und Quartettspiel in derselben Geigerhand war und ist keine zu häufige Erscheinung, soweit sie eine Vereinigung ohne Hemmungen, ohne Reibungen sein soll. Der älteren italienischen Geigerschule entstammten von Tartini bis Paganini ausschließlich Konzertspieler, und die Wiener Schule unterschied ihre Künstler genau nach beiden Betätigungen hin. So war Schuppanzigh bloß Quartettspieler; und Beethoven, der diesen Geiger in seinen Streichquartetten bewunderte, schrieb nicht für ihn, sondern für Clement sein Violinkonzert, schmückte es für diesen Beherrscher der obersten Lagen mit den höchsten Geigentönen wie mit funkelnden Sternen. Gleich Clement glänzte Mayseder nur als Solist; Josef Böhm dagegen pflegte auch, wenngleich überwiegend im Hause, das Quartettspiel. Gleich bedeutend im aller Bravour entsagenden Kammerspiele wie im virtuosen Solo waren in Frankreich Rode, Kreutzer, in Deutschland Spohr. Vergessen wir nicht, daß Rode Josef Böhm, Böhm Josef Joachim gelehrt hatt; so hatte dieser gewichtige Ahnen für die Verschmelzung konzertanten Spiels mit selbstlosem Kammermusizieren. Auf Böhm und Rode, und um den Stammbaum noch weiter zu verfolgen, auf Rodes Meister Viotti geht auch der Adel von Joachims Vortrag, sein vergeistigter Ton zurück. So ist dieser große deutsche Geiger, wie das kürzlich Henri Marteau, derzeit der von Joachims Geist am reinsten erfüllte Violinspieler, hübsch formuliert hat, gewissermaßen der letzte Vertreter der großen französisch-italienischen Schule gewesen, die den klassischen Bogenstrich gepflegt und hochgehalten hat.

Wie weit reicht dieses Künstlerleben zurück! Vor achtzehn Jahren hat man Joachims fünfigjähriges Künstlerjubiläum gefeiert, und in zwei Jahren wäre er zu seinem siebzigjährigen vorgeschritten. Drei Generationen beinahe haben seiner Geige gelauscht, und nicht den letzten Triumph seiner wahrhaftigen, den Wandel der Zeiten überdauernden Wirkungen bedeutete es, daß die jüngste Generation der Bewunderung der ältesten treu geblieben

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ist. Wunderkind mit acht Jahren, erhielt der Sohn des jüdischen Kaufmanns Julius Joachim in Kittsee nach fünfjähriger Wiener und Leipziger Lehrzeit schon als dreizehnjähriger Knab in London die Punze der Künstlerschaft. Das war 1844, und 1850 schreibt Klara Schumann über ihn: “Sein Spiel ist vollendet, alles schön, das feinste Pianissimo, die höchste Bravour, völlige Beherrschung des Instruments.” Nur
Gemüt und Feuer” zieht sie in Zweifel, um schon sechs Wochen später auch diese Einschränkung zu bereuen. Vor kurzem ist ein Sonatensatz Brahms’ veröffentlicht vorden, der, 1853 geschrieben, das Scherzo einer Sonata darstellt, die Schumann, Brahms und Dittrich [sic] anläßlich des Düsseldorfer Musikfestes gemeinschaftlich komponierten, um den damals zweiundzwanzigjährigen Joachim zu feiern. Eine ungewöhnliche Huldigung, die blitzartig schon die damalige Stellung des blutjungen Geigers beleuchtet. Vollends wächst in den Sechzigerjahren der Weltruhm des damaligen Hannoveranischen Konzertmeisters; Wien wird erobert. Er ist nicht nur der Geiger des Publikums, er ist vorzugsweise auch der der ernsten Musiker. “Joachim war mir Arion,” bekennt 1866 Bülow, aus seinen frischen Wunden blutend; “er hat mich durch sein unvergleichliches Spiel zu stummem Vergessen und Vergeben hingerissen.” Seit 1868 wirkte Arion in Berlin, umhier durch bald vierzig Jahre als führende Persönlichkeit das musikalische Leben zu bestimmen. Leipzig war musikalisch stärker gewesen als das schwunglose, gleichgiltige Berlin; nun verschob sich das Schwergewicht. Joachim leitete die Hochschule für Musik, bildete ideale Konzertmeister heran und wuchs zum autoritativen Verkündiger einer Kunstanschauung empor. Und von Berlin aus bereiste er die Welt, als Solist wie mit seinem Quartett, unermüdlich, bis in seine letzten Tage hinein, und der geliebte Bogen entfiel nur der Hand, die der Tod berührte. Sollen wir neuerdings die Genüsse und Erhebungen schildern, die uns dieser Bogen bereitet hat? Joachim gegenüber hat die Kritik in jahrzehntelanger Bewunderung sich auf sich selbst zu besinnen verlernt. Erfindungsreicher Instrumentaltechniker, absichtsvoller Entdecker auf dem Gebiete des spezifisch Violinistischen war Joachim nicht. Und manche moderne Paganinifabrik schickt gewandtere Jongleure in die Welt. “Seiltänzergeschick auf der Geige und edles Adagio vertragen sich nicht,” meinte schon der alte Reichardt. Auch wandelte Joachim weitab von den Wegen des blendenden Temperamentsspielers, der scheinbar von drängender Subjektivität überschäumt, dieser beliebten Spezialität von heute. Er hatte zeitlebens sozusagen eine wohltemperierte Geige. Aber greifen wir aus seinem berühmten Repertoire zwei Stücke heraus: das Beethoven-Konzert, die Bach-Ciaconna. Warum scheint uns in der Erinnerung Joachims Wiedergabe jeder anderen, noch so bedeutenden überlegen? Sie trug, wenn man so sagen darf, etwas Ethisches in Technik, Ton, Ausdrück an sich. Keiner holte wie er aus dem unvergänglichen Stücke den Charakter heraus neben der Schönheit. Unvergeßlich gleich der erste Eintritt der Geige, der wie eine Devise des Spielers selbst hingestellt schien, seiner edlen Männlichkeit, Plastik und Natürlichkeit. Im Larghetto Empfindung bis zum Mysteriösen, aber ohne Afektation; im Rondo die Joachim im Heiteren und Leichtbewegten eigene Mischung von Grazie und Würde. In Bachs Ciaconna triumphierte der Meister des mehrstimmigen Spieles, der eine Schwäche des Instruments in eine Stärke wandelte. Zeitlich am nächsten steht uns der Quartett-Primarius. Welche hingebungsvolle Versenktheit, welch ideales Rubato! Joachim erschloß uns die letzten Beethoven-Quartette. Die Tür stand schon offen, aber nun, von seiner Hand geleitet, trat man ein. Und Joachim-Quartett: Vier Herzen und ein Schlag. Es war zuletzt das erlesene Quartett der Seelenmusik, des Adagios. Hier schien Joachim wie es in einem Verse des Dänen Jacobsen heißt, wirklich auf Perlenschnüren wie auf Saiten zu geigen, mit einem Mondenstrahl als Bogen.

Aber Joachim ragte nicht bloß als klassischer Geiger in unsere Zeit. Er war ihr der “klassische Musiker” überhaupt, der gewichtige Bekenner von ästhetischen Ueberzeugungen, die seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts ins Wanken geraten waren. Wie eine Notwendigkeit schien er inmitten der traditionsverächterischen Sprunghaftigkeit unserer Tage mit seinem Konservatismus, der mild und versöhnlich war be aller Unerschütterlichkeit, mit seiner Fahnenwacht vor dem klassischen Besitz der Muisk und all dem, was sich in gesunder Entwicklung daran angeschlossen hatte. Joachim war der Linie Bach-Beethoven-Mendelssohn-Schumann-Brahms treugeblieben. Er hatte in jungen Jahren geschwankt, war in der heißesten Zeit vor Entscheidungen gestellt. In Leipzig hatte Mendelssohn als väterlicher Lehrer die Seele des Knaben befruchtet und rückhaltlos gewonnen. Nach Mendelssohns Tode wandelte sich für den jungen Künstler die Szene. Weimar nahm ihn auf, damals mit Liszt, Raff, und Bülow der Herd der neudeutschen Bestrebungen. Eine Musik, die die neuen Reize scharfer Dramatik, der Farbe, des Programms voranstellte, nach außerhalb der Tonkunst selbst liegenden Assoziationen strebte, warb um seine Gesinnung, um sein Können. Wie ein fremdartiger, betäubend duftender Blütenzweig senkte sie sich auf den Weg des Mendelssohn-Schülers herab. Er bog ihn bald zur Seite. Schumann war in sein Leben getreten, un der ungarische Geiger Remenyi hatte ihm den jungen Brahms gebracht. Als sich die Gegensätze verschärften, die Befehdung Schumanns und Brahms’ durch Weimar zur entschenden Wahl zwang, erfolgte die Lossagung. “Fast formell, in Schriftstücken, die Dokimente dieses Kunstkrieges sind. In einem Briefe an Liszt (1857) erklärte Joachim, dessen Musik “gänzlich unzugänglich zu sein, die allem widerspreche, was sein Fassungsvermögen aus dem Geiste der Großen seit früher Jugend als Nahrung sog”. Und Joachims Name figurierte auch auf dem be-

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kannten öffentlichen Protest gegen die neudeutsche Schule, den auch Brahms unterfertigte. Man weiß heute, daß aus dieser als widerklassisch verpönten Schule ein Klassiker der musikalischen Bühne hervorgegangen ist: Richard Wagner. Joachim ist vielleicht der einzige ältere Musiker von Gewicht geblieben, der sich Wagner nicht unterworfen hat, und zugleich der einzige, dem man es nie nachgetragen hat. Er erkannte den hohen Gipfel in Wagner, den Bergriesen von seltsamer Formation. Besah ihn aber gleichsam stets nur kühl bewundernd von unten, stieg nie zu ihm empor.

Wohl aber widmete sich Joachim mit ganzer Seele der Propagierung Brahms’. Schumann hatte Brahms eine Prophezeiung mitgegeben, aber Joachim half die “neuen Bahnen” ebnen. Was später Bülow für Brahms’ Orchestermusik, tat Joachim frühzeitig für dessen Kammermusik, für dessen Geigenkompositionen. Andererseits enthüllte sich in der vollen Hingabe an Brahms Joachims vorwiegend reproduktive Künstleranlage. Vermochte er doch ohne merklichen Kampf der eigenen Produktion zu entsagen, den Komponisten in sich zu verabschieden, der in einigen Ouvertüren, vornehmlich aber in dem “Violinkonzert in ungarischer Weise” wie in den “Variationen für Violine und Orchester” Ernst und Bildung, wenn auch wenig Persönlichkeit gezeigt hatte. Interessant ist, daß dieses Eintreten für Brahms Joachim an Wien fester geknüpft, den Oesterreicher wieder der Heimat nähergebracht hat, der er seit jungen Jahren entfremdet war. 1867 hatte ihn Brahms, der Freund, nach Wien gelockt, und das sollte seither recht oft geschehen, zu gemeinsamsm Kampfe, zu gemeinsemem Siege. Noch sehen wir Joachim vor uns, wie er 1879 im großen Musikvereinssaale Brahms’ Violinkonzert aus der Taufe hob, jenes Geigenwerk, das, damals konzertwidrig und schwer spielbar gescholten, heute dem Konzert Beethovens zunächst genannt und geschätzt wird. Oder wir haben Joachim vor Augen, wie er nach einem eben zum Triumph geführten Brahms-Quartett den widerspenstigen Meister, den ungebärdigen Klavierbären, an den Flügel zog und mit ihm, feurig einen ungarischen Tanz anstimmend, eine ideale Csarda auf das Podium hinzauberte. Joachim hat vielleicht das Entscheidenste für Brahms in Wien vollbracht und durch Wien in der deutschen Musikwelt. Er sprengte gleichsam von der einen, Bülow, von der anderen Seite den Tunnel in den Berg von Vorurteilen gegen Brahms’ Musik. Noch im letzten Lebensjahre Brahms’ machte er dem Freunde eine “Freude”, die dieser, nach einem wehmütigen Briefe Joachim, “mit ungewohnter Weichheit auf sich wirken ließ”, spielte in Wien das herrliche G-dur-Quintett. Und gerade nach Brahms’ Tode zog es Joachim mit seinen Getreuen regelmäßg in jedem Musikjahre nach Wien, als gälte es hier nun erst recht, das Ansehen des großen Toten wachzuerhalten. Festabende, diese Joachim-Abende, unvergeßlich die Künstlergruppe — Schmutzers Meisterhand had sie glücklich festgehalten — auf der Estrade. Hier Robert Hausmann, dem freudige Energie aus den Augen leuchtete, wenn er wuchtige Baßtöne aus seinem Cello zog, straff die Rhythmik aufspannte an den heiklen Stellen; dort ihm gegenüber Wirth, der sinnige Violaspieler, mit der Miene des deutschen Professors; und am zweiten Geigenpulte Halir, der jüngste unter den Vieren, lebhaft und beweglich in der Führung des Bogens trotz der behaglichen Fülle des Leibes. Und nun erst Joachim selbst, ehrwürdig mit seinem weißhaarigen Charakterkopfe, aus klaren Augen den Blick unter der Brille hervorsendend, sich ein wenig vorwärtsneigend im Eifer des Crescendos oder sich sinnend zurücklehnend bei den Innigkeiten eines lansamen Gesanges. Nicht selten bebten die schwachgewordenen Finger des Greises; und das Herz des Hörers verwarf die Einwände des Ohres und bebte ergriffen mit.

Nichts merkwürdiger nämlich als Joachims bis in die letzten Tage ungeschwächt vorhaltende Spielfreudigkeit. Wenn er nicht öffentlich spielte, geigte er privat, war immer für eine Sonate zu haben. Längst hätte er sich’s im warmen Lehnstuhl seines Weltruhms bequem machen können; man pilgerte zu ihm, holte sich von ihm die Weihen. Aber seine Geige war die Jugend, von der er nicht Abschied nehmen wollte, und er hörte nicht auf, der fahrende Spielmann zu sein, der die Welt für seine Ideale gewinnen will. Noch im Mai dieses Jahres tat er, bereits leidend, den Tod im Herzen, beim Bonner Kammermusikfest mit. Hierin drückt sich auch die Pflichttreue des Menschen aus, für den Leben Wirken bedeutet. “Die durch und durch loyale Natur, der durch seine Rechtlichkeit und seinen Ernst wahrhaft bezaubernde Charakter,” als den ihn Liszt 1852 bezeichnete, ist Joachim zeitlebens geblieben. In Wien konnte man sich im kunstsinnigen, ernst musikpflegenden Hause Wittgenstein, mit dem Joachim auch durch Bande der Verwandtschaft verknüpft war, an der milden Würde des Greises erfreuen.

Seit Liszt und Bülow had die Musik keinen Künstler von so repräsentativer Bedeutung verloren, wie jetzt in Joachim. Mit ihm schwindet eine der letzten großen Musikerfiguren aus der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts aus dem deutschen Kunstleben. Die Zeit blickt vielfach über Joachims Ideale hinaus, sie sucht die Klassiker der Zukunft. Aber es war eine Beruhigung, diesen sicher wandelnden Mann am Leben zu wissen, wenn “Salome” die Gemüter verwirrte, die großen, mehrstündigen Symphonien gegen die Nerven anstürmten. Eine große, vorbildliche Künstlerindividualität ist uns verloren, und das Beethovensche Adagio ist verwaist. Unvergänglich bleibt Josef Joachims Angedenken, und so lange Zeugen seines Spiels leben werden, werden Werke wie das Cis-moll-Quartett in deutschen Konzertsälen nicht erklingen, ohne daß seine edle Gestalt hinter den Spielern aufssteigen wird.

Julius Korngold

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