Joseph Joachim an Gisela von Arnim 1852-1858, 
Johannes Joachim (ed.), Göttingen: Privately Printed, 1911, pp. 2-5. The holograph is in the Staats- und Universitätsbibliothek Carl von Ossietzky, Hamburg. BRA Be 4:3.


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Gisela

Gisela von Arnim

Sonntag

Mein einzig Licht

Es ist heute Sonntag; ich bin in das kleine Stübchen gezogen, ohne Furcht gestört zu werden kann ich da an Dich denken, und so mit meinem röthesten Herzblut den Sonntag als Feiertag anschreiben. Du siehst Du machst mich gläubig, und wirst so recht meine heilige Giesel, wie Du’s wolltest. Du nanntest Dich einmal meinen Schutzgeist als Du mir den Operntext in der Skizze nach Göttingen schicktest; damals that es mir weh, denn Du schriebst dabei: Du wolltest nur das sein; aber wahr ist es geworden, daß Du mich errettet hast, wie ein vom Himmel gesendetes Wesen, als ich mich immer weiter verstieg und verlor auf der öden, steinern kalten Höhe des Grübelns, und mich zuletzt nur gewaltsam an einen Fels klammern konnte, um nicht ganz zu fallen und zu zerschmettern. Du kamst, und führtest mich (wie jenen Kaiser, dem der Schade gleicht, einst ein Gottgesandter), wieder dem warmen Hauch der Empfindung zu — was sag ich Empfindung — Begeisterung! ach auch das ist nur ein Wort — und nicht Leben, warmaufblühendes, nie vergehendes, wie ich es in mir fühle, wie ich damit Dir angehöre, Du magst mein werden oder nicht — Du einzig Liebe auf Erden. Du fühltest, was Du mir werden konntest und bist’s, über jeden Schein erhaben, geworden — und nun nenne mich nie wieder gut — nur Dir schrankenlos ergeben, mit Allem was in mir ist.

Du hast mich mit Deinem langen Brief wunderbar beschenkt. Niemand versteht so wie Du sich selbst zu geben, ganz als hörte ich Dich neben mir sprechen, war es mir — ich kann Dich nicht so mit dem was seit unserer Trennung vorging vertraut machen: ich fühle der Mechanismus des Briefschreibens hängt allen meinen Mittheilungen an, und dann hat wirklich was außen vorgeht selten für mich so viel Wert, daß es von selbst erinnere; ich muß mich häufig fragen — was ist mir gestern begegnet, um zu wissen, daß ich mit andern Menschen in Berührung war. Bei Dir ist das anders; Du siehst (und das ist das Richtige) überall einen Bezug zu Deinem innern Leben; das mir Zufällige wird Dir so zur Gestalt. Das hast Du von Deiner Mutter. Bei Dir wird so alles äußere Leben zur Mimik der Seele — überall Anmuth — und ich fühle meine Schwäche und Langeweile recht gut solcher Schönheit gegenüber. So ein Musiker dem hat aber fast immer nur Wert, was recht im Grund seiner Seele vorgeht — weil das allein seinen Tönen Leben gibt — und so ist der dann oft plump und ungelenk in der Kundgebung seines Wesens, und es muß Jemand kommen der über all das weg, in sein Herz hineinschauen kann — Du!

Du hast mich doch lieb — Doch muß ich Dir sagen, daß ich von Bremen rückkehrend, am Mittwoch Abend, das Bett zu hüten genöthigt war. Die Erkältung war stärker geworden als ich, und maltraitirte mich mit einem Concert, in dem die Nase als Beckenschläger und die Brust als Tambourinspieler angestellt waren. Ich glaube die Engelstimme Deines Briefs hat die ungeschlachten Gesellen zum Schweigen gebracht, und die Freude über denselben mich eher gesundet. Ich bin doch gestört worden!! Es war ein alter Herr, den ich auf heute bestellt hatte — er war aus Osnabrück eigens gekommen um mir seltene, italienische Instrumente zu zeigen. Ach die Leute wissen nicht wie mich das so wenig interessieren kann; sie meinen alle, wenn man einmal einen gewissen Punkt in irgend einem Fach erreicht habe, so müsse man da stehen bleiben, sich so behaglich wie möglich einzurichten — sie kennen nicht den ewig nagenden Wurm der Unzufriedenheit mit uns selber, der beständig vom Herzen zum Kopf wühlt. Ich kenne kein Behagen — dazu habe ich mich zu ungleichmäßig entwickeln können. Wie neidenswerth ist eine Natur wie die des Brahms, dem die Arbeit die größte Beruhigung gewährt. Der schläft jetzt so befriedigt von seinem Tagwerk auf meinem Sopha in der Nebenstube, wo er schon 2 Nächte lang Nachtquartier gehalten — es thut mir wohl, daß er sich so an mich gewöhnt, daß er fast nicht aus meiner Wohnung kömmt — ich bin des Lebens um mich her ganz entwöhnt gewesen, wenn ich arbeitete. Brahms ist seit Freitag Abend wiedergekehrt, wo ich dieses grüngoldene Tierchen, als ich von einem späten Spaziergang heimkehrte auf mich lauernd fand, doppelt grün von Lorbeern und neu vergoldet von Verlegern, die alle seine Sachen drucken. Es war ganz glückselig und erzählte bis tief in die Nacht von alten Freunden aus der Buchhändlerstadt. Du hast wirklich einen tiefen Blick in sein Wesen gethan — er ist Egoist und beständig auf der Lauer — aber er ist wenigstens ehrlich in der Kundgebung seiner Natur, ohne falsche Sentimentalität, die sich andere seiner Art gerne selber weiß machen — dabei dient alles was er erlauert nur dem Streben ein großer Künstler zu werden — das ist im Vergleich mit andern schon viel, und ich liebe ihn dafür — ach, Du weißt nicht welch widerlicher Eitelkeit ich gerade unter meinen Kollegen häufig begegne. — Um nicht mit dieser Dissonanz zu schließen will ich Dir noch erzählen, daß ich deine 3 Kompositionen für den Druck zurechtgeschrieben habe — sie sollen mit dem Concert und der Hamlet=Ouverture zum Verleger — So vieles wäre Dir noch zu sagen — es gäbe ja nicht Aufhören — ich möchte aber doch ein Zeichen meines Daseins endlich in deiner Hand wissen. — Gott, es sind bald 8 Tage vergangen, ohne daß Du von mir weißt!

Ich werde Dir jeden Tag schreiben, was mir wichtig ist, und es von Zeit zu Zeit Dir schicken, wenn Du willst. Es soll Abends Dir zu schreiben mein Amen sein, dann wird das Tagwerk gewiß ein Beten rein — Du Reine

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