Pester Lloyd, Vol. 63, No. 229 (August 18, 1916), p. 6
(Graf Géza Zichy’s Liszterinnerungen)
Graf Géza Zichy schildert in seinem zweibändigen, überaus unterhaltenden und anekdotenreichen Memoirenwerk “Aus meinem Leben” (Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart) eine Versöhnung zwischen Joachim und Liszt: Es war Anfang der achtziger Jahre, als Josef Joachim frühmorgens in mein Zimmer trat. “Helfen Sie mir, lieber Graf, ich bin in einer sehr schlimmen Lage,” sprach der Meister und schien sehr erregt. “Sie wissen es ja, ich stand Liszt sehr nahe, doch später, mein Gott, wir dienten andern Göttern. Und dann die vielen Ohrenbläser, ich verließ ihn.” — “Ich weiß es,” sagte ich trocken. — Joachim fuhr mit seiner Hand über sein gekräuseltes braunes Haar und fragte mich zögernd: “Wird er mich empfangen? Da bin ich nun in Budapest, laufe um sein Haus herum und traue mich nicht hinauf. Ich möchte ihn sehen, den großen, bedeutenden und so guten Mann! Joachim sprach weich, in aufrichtiger, warmer Weise. “Er wird Sie gewiß empfangen und morgen speisen Sie sogleich mit mir. Um Sie aber ganz zu beruhigen, kommen Sie sogleich mit mir. Ich werde bei Liszt vorsprechen und fragen, ob er Sie empfangen will. Nein, nicht “will”, aber wann er Sie empfangen “wird.” Liszt versteht, vergibt und verschenkt alles!” — Wir gingen in Liszt’s Wohnung. Joachim blieb im Vorzimmer. Als ich eintrat, saß mein lieber Meister an seinem Schreibtisch und schrieb. Ich trat langsam zu ihm hin und legte meine Hand auf seine Schulter. Er wandte sich um, schob seine Augengläser auf die Stirn und frug mich: “Was ist denn los, Géza, daß Sie schon so früh kommen?” — “Ich bringe einen Büßer, den nur Sie freisprechen können!” “Ist’s schon geschehen!” sprach der engelsgute Mann, “wer ist es denn?” — “Er traut sich nicht herein, weil er sich dereinst an Ihnen vergangen hat!” — Liszt lächelte. “Wenn wir nur mit jenen Freunden und Bekannten verkehren wollten, die sich nicht an uns vergangen, so müßten wir Einsiedler werden… also wer ist’s?” “Josef Joachim!” “Joachim!” rief Liszt freudig erregt, “Joachim!” Ja wo ist er denn?” “Hier.” sprach ich und öffnete die Tür. Beide flogen sich in die Arme und hielten sich lange umschlungen. “Vergib mir, Franz!” sprach Joachim. — “Kein Wort darüber!” entgegnete Liszt und führte den großen Geiger zu seinem Kanapee. Den nächsten Tag speisten beide bei mir, und ich kaufte so starke Champagnergläser, daß man dieselben kaum mit der Faust hätte zerschlagen können.