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Musikalisches Wochenblatt, Vol. 16, Nos. 1,2, and 3 (December 27, 1884 — January 8, 1885), p. 4; 9; 18-20; 31.


Das Joachim’sche Streichquartett

Joachim-Quartett_1884 Musikalisches Wochenblatt

Robert Hausmann

Heinrich de Ahna                                               Emanuel Wirth

Joseph Joachim


Biographisches.

Das Joachim’sche Streichquartett.

In der Pflege der Musik für Streichquartett hat sich äusserlich ein starker Wandel vollzogen. Wurde vordem das Quartettspiel mehr zur häuslichen Erbauung cultivirt und war der Genuss an dieser Musikgattung fast durchweg nur für intime Kreise berechnet, während öffentliche Productionen auf diesem Gebiete zu den Seltenheiten gehörten, so liegen die Verhältnisse jetzt umgekehrt. In der häuslichen Musikpflege dominirt das Clavier, dasselbe hat das umständlicher zu beschaffende Streichquartett fast vollständig verdrängt. Dagegen hat sich das Letztere auf dem Concertpodium heimisch fühlen gelernt und in jeder Stadt, die nur einigermaassen Etwas auf ihre musikalische Reputation hält, gibt es regelmässige Veranstaltungen von Streichquartettvorträgen, sei es durch einheimische oder auswärtige Künstler. Die Quartettvereine, welche die Schätze dieses Feldes der Musiklitteratur einem grösseren Publicum zu gute kommen lassen, sind bereits Legion, aber trotzdem in der Anzahl noch nicht abgeschlossen. Unter ihnen nimmt das Quartett der HH. Joachim, de Ahna, Wirth und Hausmann in Berlin wohl unbestritten den vordersten Rang ein, und wir erfüllen nur eine Ehrenpflicht, wenn wir unseren Lesern diese vier Quartettmeister in gelungener Portraitirung vorführen und derselben einige biographische Mittheilungen folgen lassen.

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Hierin mit dem genialen Führer des illustren Quartettes beginnend, können wir im Wesentlichen die Lebensskizze reproduciren, mit welcher wir vor dreizehn Jahren das Einzelportrait des grossen Geigers begleiteten.

Joseph Joachim wurde am 15. Juli 1831 [sic] [1] in dem ungarischen Marktflecken Kittsee, unweit Pressburg, geboren und kam, von dem Pester Concertmeister Szervaczinski tüchtig vorbereitet, bereits 1838 in die ausgezeichneten Hände des Wiener Violinprofessors Jos. Böhm. In die Oeffentlichkeit trat er hier erstmalig im Jahre 1840, gelegentlich einer Ausführung des Maurer’schen Concertes für vier Violinen, an welcher sich ausser ihm auch die Brüder Hellmesberger betheiligten. Von weit grösserer Tragweite für seine weitere Künstlerlaufbahn gestaltete sich sein erstes Auftreten in den damals noch sehr gefürchteten Räumen des Leipziger Gewandhauses. Dasselbe ging im August 1843 vor sich, in einem Concert der Sängerin Frau Viardot-Garcia, und als Probestück für seine Leistungsfähigkeit diente dem jugendlichen Virtuosen ein brillantes Rondo von Ch. de Bériot. Trotz äusserlicher Beeinflussungen (man erzählt von einem am Concertabend entstandenen Feuer und einer während des Vortrages unseres jungen Debutanten zerrissenen Saite) war dieses erste Leipziger Auftreten von glücklichstem Erfolg begleitet: das Publicum geizte nicht mit Beifallsbezeugungen, und die Kritik fand in dem jungen Virtuosen “eine höchst interessante Erscheinung, nicht nur in Rücksicht auf das ausgezeichnete Talent, das sich in seinen Leistungen ausspricht, sondern auch der trefflichen Schule und Bildung wegen, von denen sein Spiel unverkennbar Zeugnis gibt”, und rechnet es dem Lehrer zur Ehre an, “ein schönes Talent so geleitet und frühzeitig schon so weit gebracht zu haben, dass baldige Erreichung hoher Meisterschaft kaum bezweifelt werden” könne. Die Referenten der “Allgem. Mus. Ztg.” und der “N. Z. F. M.” meinen einstimmig, gegründete Hoffnung auf eine ganz bedeutende künstlerische Zukunft Joachim’s haben zu dürfen. — Ernst um seine Kunst war es dem Knaben auch fernerhin, und in Leipzig fand er in dieser Beziehung die beste Unterstützung. Vorzüglich warn es hier M. Hauptmann und Ferd. David, die seinem unermüdlichen Weiterstreben in liebevollster Weise Vorschub leisteten, wie auch Mendelssohn dem angesprochenen musikalischen Talent Joseph’s hohes Interesse abgewann. So konnte der junge Virtuos schon im nächsten Jahre den ersten grösseren Ausflug wagen, und das eigensinnige, durch die besten ausführenden Künstler verwöhnte Publicum der Londoner Philharmonischen Concert führte aus seinen Reihen dem Ausserordentlichstes versprechenden Knaben die ersten ausländischen Bewunderer zu. Bei dieser Gelegenheit war es aber bereits eine ganz andere Aufgabe, welche sich Joachim gestellt hatte. Hier spielte er zum ersten Male öffenltich das Concert von Beethoven, das Werk, durch dessen Vortrag er seitdem Tausend entzückt und in diessen Wiedergabe, was tiefinnerliche und stilvolle Auffassung betrifft, er noch immer ohne Vergleich dasteht. In London gab er gleichzeitig auch Proben seiner Befähigung zum Quartettspielen und glänzte als Interpret Bach’scher Musik. Vom Jahre 1845 erwähnen wir als besonders bemerkenswerth die Gewandhausconcerte des 16. Januar und 4. December. In Ersterem führte Joachim sich mit dem Beethoven’schen Concert in der deutschen Kunstwelt ein, und das Decemberauftreten hatte insofern doppelte Bedeutung für ihn, als er sich an diesem Abend zum ersten Mal in einer eigenen grösseren Composition, einem Adagio und Rondeau mit Orchester, producirte. Leipzig blieb auch noch für die folgenden Jahre Joachim’s Heimath; sein Verkehr fand befruchtendste Ausdehnung auf Persönlichkeiten wie das einzige Ehepaar Schumann, Hiller, Gade u. A., seine Kunst erhielt amtliche Bestätigung durch Ausstellung als Lehrer am Conservatorium und Mitglied des Grossen Orchesters daselbst. Im Jahre 1850 wusste ihn jedoch Franz Liszt als Concertmeister für die unter seiner Direction stehende Hofcapelle in Weimar zu gewinnen, welche Stellung sich in Folge des vielfachen Verkehrs mit Liszt von entschiedenstem Einfluss auf Joachim’s künstlerische Weiterbildung gestaltete. Drei Jahre später vertauschte Joachim Weimar mit Hannover, wo man für ihn die Stelle eines Concertdirectors der königl. Hofcapelle unter contractlich zugestandenen ausgedehnten und auch zu fleissigen Concertreisen benutzten Ferien eingerichtet hatte. Diese Stellung fand 1866, infolge der politischen Vorgänge, ihren Abschluss. 1868 im Herbst eröffnete sich Joachim unter Verleihung des Titels eines königl. Professors die ehrenvolle Stellung des Directors der neugegründeten königl. Hochschule der Musik in Berlin, wo er für die hohen Zwecke seiner von ihm heilig gehaltenen Kunst auch als Capellmeister der königl. Akademie der Künste wirkt.

Joseph Joachim hat dem Publicum und der musikalischen Presse mit seinen wiederholten Triumphzügen durch europäische Concertsäle vielfachste Gelegenheit zur Beurtheilung seiner Künstlerindividualität gegeben, und dieselbe ist in so ausgedehntem Maasse wahrgenommen worden, dass es nur Altes wiederholten hiesse, wollten wir neue Ausdrücke für den echt künstlerischen Eindruck, den Joachim’s Reproductionen sowohl im Solo- wie im Quartettspiel auch auf uns stets hervorbringen, aussinnen. Besonders als Interpret der Werke Bach’s, Mozart’s und Beethoven’s wird er im Einzelnen kaum von Einem, im Ganzen wohl von Keinem seiner zeitgenössischen Rivalen erreicht; seine Wiedergabe weniger bedeutender Compositionen hebt diese scheinbar über ihren eigentlichen Werth hinauf. Wirklich musikalisch werthlose Stücke spielt Joachim überhaupt schon lange nicht mehr. Von modernen Componisten erfreut sich vor Allen Johannes Brahms der Anwaltschaft des Künstlers. — Joseph Joachim wird auch in Zukunft noch lange jedem deutschen Violinspieler als Ideal vorschweben.

Liegt die Bedeutung Joachim’s in erster Reihe in dessen Violinspiel, so wäre es trotzdem ungerecht, wollten wir die anderen Seiten dieser Künstlererscheinung unerwähnt lassen: die Compositions-, Directions- und pädagogische Thätigkeit des grossen Violinmeisters. Ist Joachm in ersterer Beziehung auch nur mit wenigen Werken in die Oeffentlichkeit getreten, so hat er doch auch hierbei stets sein Bestes eingesetzt. Als glücklichste Frucht dieser Thätigkeit darf wohl sein Concert in ungarischer Weise bezeichnet werden, eine Composition voller Frische und Noblesse der Erfindung bei geistvoller Wahrung des im Titel bezeichneten Charakters, die vielleicht nur der seltenen Bescheidenheit des einziges Künstlers ihre seltenere Vorfürung verdankt. Als Dirigent wird Joachim in Berlin jetzt fast mehr genannt, denn als Violinist, und zumal seit dem Bestehen der Philharmonischen Gesellschaft ist eine Thätigkeit auf diesem Gebiete eine viel, oft aber auch sehr heftig besprochene. In keiner seiner musikalischen Functionen stösst Joachim auf eine Opposition, wie gerade mit seiner Direction. Während aber die Einen ihn kaum gelten lassen möchten, heben Andere ihn auf ihren Schild und preisen ihn als Dirigenten ebensostark, als ihn die Anderen verkleineren. Objectivere Beurtheilung in diesem Beruf als in der Reichshauptstadt hat Joachim jedenfalls auswärts erfahren, namentlich gelegentlich von ihm geleiteter Niederrheinischer Musikfeste, sowie der im vorigen Herbst stattgehabten Eisenacher Bach-Feier. Nach den Berichten über diese Feste, welche allerdings in der Hauptsache auf classischem Boden standen, macht der Künstler auch auf diesem Felde seinem berühmten Name Ehre. Rückhaltslos wie seine Meisterschft auf der Violine wird das Lehrtalent Joachim’s anerkannt, und zahlreiche, zum Theil schon zu angesehenen Stellungen in der Musikwelt gelangte Schüler verbreiten den Ruhm ihres Meisters in alle Richtungen.

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Das älteste Mitglied des Joachim’schen Quartettes, seit Beginn ihm angehörend, ist der Vertreter der 2. Violine, der kgl. Concertmeister Heinrich de Ahna. Heinrich de Ahna ist, wie Joachim, ein Oesterreicher von Geburt. Seine Wiege stand in Wien, wo er am 22. Juni 1834 geboren wurde. Er erhielt schon von seinem 7. Lebensjahre ab Violinunterricht. Mit 10 Jahren wurde er Schüler von Mayseder, später genoss er noch den Unterricht Mildner’s in Prag. Sein erstes öffentliches Auftreten als Solist, im Jahre 1846 im Wiener Opernhaus, fiel glänzend aus. Die daran sich schliessenden, in Begleitung des Vaters unternommenen Concertreisen durch Deutschland und England waren nicht minder ruhmvoll für den jugendlichen Künstler, welchem 1849 der Herzog von Coburg-Gotha den Titel eines Kammervirtuosen verlieh. 1851 trat de Ahna in die österreichische Armee ein, wurde bald zum Officier befördert und machte 1859 als Oberlieutenant den Feldzug in Italien mit. Der Schluss des Letzteren war gleichzeitig der Schluss seiner militärischen Carrière. 1862, nach erfolgreichen Kunstreisen durch Deutschland und Holland, nahm de Ahna Stellung als Mitglied der k. Capelle zu Berlin und wurde 1869, nach Pensionirung Hubert Ries’, 1. Concertmeister dieses Kunstinstitutes. Neben dieser Stellung bekleidet er auch noch eine Violinprofessur an der k. Hochschule für Musik. Heinrich de Ahna ist einer der allerbesten Violinisten der Jetztzeit, ebenso ausgezeichnet durch blühenden, gemüthgesättigten Ton, vollendete, nie versagende Technik und haarscharfe Intonation, wie durch künstlerisch-nobele und stilvolle Auffassung. Dass er die Person der Sache unterordnet, beweist am deutlichsten seine Position als Quartettspieler: Nirgends sass oder sitzt ein Künstler seines Ranges am 2. Pult eines ständigen Quartettes, nirgends wird man aber auch die 2. Violine in einem ständigen Quartett ein zweites Mal in so idealer Vollkommenheit, wie in dem Joachim’schen Quartett, wiederfinden.

Der Bratschist des Berliner Meisterquartetts, Emanuel Wirth, ist gleichfalls Oesterreicher, Luditz in Böhmen ist sein Geburtsort, der 18. October 1842 sein Geburtstag. Seine musikalische Ausbildung erhielt er 1854 bis 1861 im Prager Musikconservatorium unter Kittl und Mildner, seine erste Anstellung 1861 als 1. Geiger und Solist in Baden-Baden. 1864 bis 1877 domicilirte er in Rotterdam und war als Violinlehrer des dortigen Conservatoriums und als Concertmeister der Deutschen Oper und der Concerte der Maatschappij tot bevorderung der Toonkunst in Action, wiederholte Kunstreisen von hier aus nach Deutschland und Oesterreich verschafften ihm den Ruhm eines vortrefflichen, temperamentvollen Geigers. Als 1877 durch E. Rappoldi’s Weggang nach Dresden die Violastimme des Joachim’schen Quartetts vacant wurde, war es Wirth, auf welchen als würdigen Remplaçanten Joachim’s Blick fiel. Wirth nahm die ehrenvolle Berufung an und hat sich derselben vollständig werth erwiesen. Ebenso geniesst er als Violinlehrer an der k. Hochschule die allgemeinste Anerkennung. Gelegentliche Concertausflüge als Violinsolist mehren nach dieser Seite den Ruhm des vortrefflichen Künstlers.

Der jüngste unserer Quartettgenossen, dem Alter und dem Beitritt nach, ist Robert Hausmann am Violoncellpult. Am 13. August 1852 in Rottleberode bei Stollberg am Harz geboren, erhielt er seinen ersten Musik-, speciell Violoncellunterricht von Theodor Müller in Braunschweig, dem Violoncellisten des älteren Gebrüder Müller’-schen Quartetts. Seine Studien setzte er 1869-1871 als Schüler der k. Hochschule zu Berlin und dann bei Piatti in London fort. 1872-1876 war er Mitglied des Hochberg’schen Streichquartetts. Bald nach Auflösung dieses Vereins erhielt er Anstellung als Lehrer der soeben erst genannten Berliner Musikbildungsanstalt, seit 1879 gehört er — als Wilh. Müller’s Nachfolger — dem Joachim’schen Quartett an. Robert Hausmann zählt mit Recht zu den ersten Meistern seines Instrumentes, und zahlreiche Reisen im In- und Auslande haben dieses Renommée erweitert und befestigt. Als Quartettspieler hat Hausmann kaum Concurrenz, Prof. Joachim hätte keinen besseren Genossen zu finden vermocht, als ihn.

Die HH. de Ahna, Wirth und Hausmann führen den Titel k. Professoren der Musik.


[1] Joachim’s birthday is currently given as June 28, 1831 — RWE