Marburger Zeitung, 2 December, 1899, p. 2.

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(Amalie Joachim †.) Aus Berlin wurde unterm 5. d. berichtet: Deutschlands größte Lieder= und Oratorien=sängerin ist heute Nacht gestorben. Der Tod brachte der Künstlerin Erlösung von langen, schweren Leiden. Sie litt seit 26 Jahren an Gallensteinen, die verschiedensten Badecuren blieben erfolglos. Sie wagte das letzte Mittel, um Heilung zu finden, sie fasste den Entschluss, sich einer Operation zu unterziehen, einer Operation auf Tod und Leben. Letzten Mittwoch siedelte sie in Begleitung ihrer jüngsten Tochter und ihrer Gesellschafterin nach der Klinik über. Die schwierige Operation gelang; aber die Kräfte der Kranken waren zu schwach, um den Folgen Widerstand leisten zu können. Gestern nachmittags 4 Uhr begann der Kräfteverfall, das Bewusstsein schwand, wenige Stunden später, um 10 Uhr abends, war der liederreiche Mund für immer verstummt. Amalie Joachim ist 1839 in Marburg in Steiermark geboren. Ihre musikalische Ausbildung genoss sie in Wien; hier begann sie, deren Familienname Schneeweiß war, unter dem Theaternamen Weiß am Kärntnerthortheater ihre Bühnenlaufbahn. Die junge Sängerin erwarb sich durch ihre edle Altstimme und ihre vornehme Vortragsweise schnell einen Namen, sie wurde an das hannoversche Hof=Theater als erste Altistin berufen. Im Jahre 1861 heiratete sie den damals schon berühmten Violinvirtuosen Joseph Joachim und beendete gleichzeitig ihre theatralische Laufbahn, die sie glänzend begonnen hatte. Amalie Joachim wurde Concert=und Oratoriensängerin, sie ist in gewissem Sinne als die Begründerin des modernen Liedergesanges zu betrachten, indem sie das Schwergewicht auch nach der geistigen Seite hin verlegte. Der Ruf der deutschen Liedersängerin drang über ihr Heimatland hinaus, ihre echt deutsche Art, die Durchgeistigung und Verinnerlichung ihres Vortrages fand überall Verständnis und erregte darum allüberall Enthusiasmus. Es gab bald kein deutsches Musikfest mehr, bei dem die als die erste Oratoriensängerin, als die beste Liedersängerin geltende Amalie Joachim nicht mitwirken musste, und in England, woselbst Schumann schon damals eine außergewöhnliche Verehrung genoß, galt die Zuziehung der berufensten und vollendetsten Schumann=Interpretin beinahe als etwas Selbstverständliches.

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