M. G. Saphir (ed.), Der Humorist, Vol. 10, No. 11 (Tuesday, January 13, 1846), pp. 42-43.


 

JJ Initials

Concert.

Joseph Joachim.

Früh entfaltet sich der Künstlerschaft glühende und duftige Blüte, spät nur reifen des Wissens goldene Früchte; man kann schon Künstler sein, ohne die Knabenschuhe abgelegt zu haben. Nicht nur die zahlreichsten, auch die jüngsten Jünger sind die Jünger der Tonkunst; aber wenn auch der Berufenen, so gibt’s doch hier

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wie überall der Auserwählten wenige; das wahre, große Talent erscheint auch in der Tonkunst nicht gar so häufig, trotz dem Drängen, Wimmeln und Krabbeln von Musikmachern aller Art; trotzdem so viele Eltern glauben, ihrem Kinde sei die klingende Leier des Tongottes in die Wiege gelegt worden.

In Joseph Joachim tritt uns wieder ein jugendlicher Künstler entgegen, der mit vollster Begabung, Geschick und Bildung, Geist und Gefühl im Einklange auf der sang- und sinnbietenden Violine zur Würde der Kunst wie zur Freude ihrer Begehrer und Empfänger jetzt schon wirkt und noch mehr zu wirken berufen ist. Es thut so wohl, in dieser Schwerenothzeit der Bravour ein Talent erscheinen zu sehen, das auf die Bahn des Würdigen, Gediegenen und Poesievollen in der Kunst geleitet, auf ihr sich heimisch fühlt und zu bleiben verspricht. Mag man immerhin auf dem Klaviere fortbeharren in der Difficultätenmacherei, mag man toben rasen, treten, reiten, eisenbahnfahren auf den Tasten; das Piano ist ein Hammerwerk, das durch Kraft in Bewegung gesetzt wird, und wo Kraft waltet, ist es nicht leicht, Geist und Gefühl festzuhalten. Mag man immer auf diesem Instrumente die Grenzen der Technik immer weiter ausdehnen und die des wahren Kunstgeistes immer mehr einziehen; konnte man’s bis jetzt nicht anders machen, wird man in der Folge es zu Besserem bewegen nicht im Stande sein; die Geige aber, die liegt uns am Herzen, wie ihr Klang im Herzen; in ihr wohnt ein empfindungsvolles, tiefsinniges Tonvölklein, welches wir nicht gerne durch Schärren, Zwacken und Klopfen zurückgedrängt sehen möchten; dem Violinspiele soll sein Gefühl, sein Geist, seine Herrlichkeit und Majestät erhalten werden.

Vor drei oder vier Jahren ungefähr zog schon der kleine, vollwangige Knabe Joachim, ein Zögling unseres ausgezeichneten Böhm, ungewöhnliche Aufmerksamkeit mit einigen öffentlichen Produktionen auf sich; das frische und üppige Talent hatte sich schon damals laut angekündigt. Er hat seitdem in Leipzig weitere, gründliche und gewichtige Studien gemacht, so wie man sie unter eines Mendelssohn-Bartholdys Auspizien machen kann. Jener Knabe, der jetzt wiederkehrt, ist wohl auch jetzt noch nicht zum Jüngling aufgewachsen, aber zum Künstler emporgeschossen, wir sagen emporgeschossen, denn schon vor einem Jahre erntete er in London Bewunderung.

Es war schon aus dem Programme seines am 11. im Vereinssaale gegebenen Concertes zu sehen, daß Joachim ein Violinspieler ist, welcher nicht den Weg der Anderen einschlägt. Das Concert von Beethoven, das kostbarste Kleinod, welches die Violinmusik besitzt, und eine “Ciaconna” von Joh. Seb. Bach bildeten seine Hauptvorträge. — Eine Violiolinpiece [sic] von Bach? Haben die Concertfreunde schon hier eine gehört, von einem Concertspieler sie gehört? Das muß kurios aussehen! werden sich wohl die Meisten gedacht haben. Oh, rococo! klassisch, aber nicht brillant; darin finden wir gewiß nicht auf der Violine Guitarre gezupft, und nicht mit dem Bogen Flöte geblasen, keine Pizzikatos und keine Flageolets. — Gewiß nichts davon, aber obgleich klassisch und recht klassisch, ist diese “Ciaconna” doch so brillant, als nur irgend ein Solostück, das es für die Violine gibt, und es gibt nicht nur wenige so brillante, so prachtvolle, so wundervoll gebaute Stücke für die Violine wie diese Fuge, es gibt auch sehr wenige Spieler, welche sie mit solcher Rundung, solchem Geiste, solcher Kraft und Ausdauer, kurz, in so ausgezeichneter Weise vortragen dürften, wie unser junger Künstler, welchen die herrliche Ausführung dieses Stückes allein den ersten Violinspielern der Gegenwart anreiht.

Um von den einzelnen Eigenschaften Joachims zu sprechen: so ist vor Allem sein schöner, markiger, männlicher Ton hervorzuheben, in welchem sich nicht bloß das singende, sondern auch das geistigkräftige Element ausklingen kann. Seine linke Hand umfaßt leicht, mit Kraft und Gewandtheit die schwierigsten Griff-Formen, und ist vorzüglich die Fülle und Schönheit seines Trillers zu bemerken. Dem schließt sich noch in technischer Beziehung eine edle, gewandte und feste Bogenführung an, die in allen einzelnen Stricharten Fertigkeit und Sicherheit aufweist. Mit dieser abgeschlossenen Vollkommenheit in dem technischen Theile seines Spieles hält das Verständniß und die Innerlichkeit seiner Darstellungsweise gleichen Schritt.

Wir haben schon oben erwähnt, wie meisterlich er die “Ciacconna” von Bach spielte; ein Gleiches muß man auch von der Durchführung des Beethoven’schen Concertes sagen. Man weiß, was das sagen will, dieses Concert nur verstehen, nun erst es gut ausführen. Es war ein durchaus edler, geist- und gemüthvoller Vortrag, welcher in den von dem jungen Künstler komponirten, dem Allegro und dem Rondo eingeschalteten Cadenzen noch ein eigenes Interesse bot. Wer in solchem Alter eine dem Geiste eines Beethoven’schen Werkes sich so sinnig-anschließende und doch dabei brillante Cadenz, wie die im ersten Satze angebrachte, zu komponiren versteht, von dem läßt sich Anderes, Geistigbesseres, als der übliche Singsang und Klingklang der meisten jetzigen Concertsolos für die Violine ist, erwarten. Die zweite Cadenz ist gleichfalls sinnig und glänzend, doch steht sie der ersteren nach. Außer den beiden herrlichen Werken von Beethoven und Bach, spielte Hr. Joachim noch Variationen über ein russisches Thema, von David, welche von unerheblicher Gestaltung, doch dem Vortragenden, besonders gegen den Schluß zu, Gelegenheit gab, seine vortreffliche Bogenführung geltend zu machen. Die Aufnahme, welche der junge Künstler fand, war eine enthusiastische, er wurde während seinen Vorträgen stets vom lebhaftesten Beifalle unterbrochen und nach jedem derselben einige Mal hervorgerufen. Mit Vergnügen sehen wir einem zweiten Concerte dieses reichbegabten Violinisten entgegen.

Zwischennummern waren: “Maurisches Ständchen,” von Kücken, französische Romanze und ein von Hrn. Netzer komponirtes Lied, mit österreichischem Texte von Klesheim, dessen Melodie aber gar nicht österreichisch klang. Alle diese Piecen wurden von Dlle. Treffz vorgetragen, das “Ständchen” am ausdrucksvollsten. Mendelssohns herrliche Ouverture zum “Sommernachtstraum” wurde von dem Orchester des k. k. Hofoperntheaters, unter Leitung des Hrn. Prof. Helmesberger, mit vortrefflicher Präzision ausgeführt. Der Besuch des Concertes war ein sehr zahlreicher.

H—r.