Musikalisches Wochenblatt, vol. 27 (16 April, 1896), pp. 216-217.


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Joachim on the New Music

Im preussischen Abgeordnetenhause war vor einiger Zeit der Wunsch ausgesprochen worden, der Volksvertretung einmal Gelegenheit zu bieten, in einem Concerte die Leistungen der Akademischen Hochschule für Musik zu Berlin, die so bedeutende Subvention vom Staate erhält, aus eigener Anschauung kennen zu lernen, welchem sehr natürlichen Begehren Ausgang v. M. entsprochen wurde. Interessanter als das in dieser Aufführung Gebotene war die Darlegung der Ziele der Akademie, welche Hr. Prof. Dr. Joachim vor Beginn des Concertes gab, weil durch sie in officieller Weise der hochconservative künstlerische Standpunct, den das Institut einnimmt, nun auch für solche, welche den umlaufenden bez. Gerüchten nicht Glauben schenken wollten, seine volle Bestätigung findet. Hr. Prof. Dr. Joachim hat nach dem “B. Tagebl.” also Folgendes gesprochen: “Es sei ein vollständig unberechtigter Vorwurf, dass die k. Akademie dem Fortschritt in der Musik abhold sei und am Alten klebe. Der beste Gegenbeweis wäre, dass die Compositionen von Klughardt, Bargiel u. A., also die Werke lebender Componisten, eifrig gepflegt würden. Aber es komme darauf an, was man unter ‘Fortschritt’ verstehe. Das sei in der Musik nicht anders, als in der Politik. Von jener pseudofortschrittlichen, in Wahrheit umstürzlerischen Richtung, die sich von Bayreuth und Weimar aus breit mache, wolle das königliche Institut allerdings Nichts wissen, und er halte es für seine Pflicht, die Zöglinge auch vor der Be-

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kanntschaft mit Erzeugnissen dieser Richtung zu warnen. Denn das Gift schmecke den Unerfahrenen oft recht angenehm, und die Erkenntniss seiner Verderblichkeit käme den Bethörten erst, wenn es zu spät sei. Dass die Akademie die denkbar besten Früchte zu Reifen bringe, davon würden die folgenden musikalischen Vorträge hoffentlich die HH. Abgeordneten überzeugen.” — Zur Beleuchtung der Schlussbemerkung fügen wir noch hinzu, dass, um den erhofften Beweis zu erbringen, drei frühere Schüler Joachim’s, die HH. Burmester, Gregorowitsch und Markees, zur Mitwirkung mit herangezogen worden waren, statt für den unmittelbaren Einfluss des Unterrichts ausschliesslich gegenwärtige Eleven der Akademie Zeugniss ablegen zu lassen. Die kurz vorher in der “N. Bad. Landeszeit.” von einem Collegen des Hrn Prof. Dr. Joachim (Hrn. W. Bopp, dem Vicedirector des Mannheimer Conservatoriums) mit vollem Recht gegeisselte “chinesische Mauer”, durch welche früher die Conservatorien gegen die modern Production abschlossen waren, steht also in der k. Hochschule noch fest und sicher.”