Herman Grimm by Ludwig Emil Grimm, 1848
The Correspondence between Joseph Joachim and Herman Grimm
Joachim/BRIEFE I: 36
An Herman Grimm
Weimar 10. Dez. 1852
Lieber Grimm!
Es hätte mir nach dem Durchlesen Ihres Armin (1) mit Ihrer Freundin (2) nichts Freudigeres begegnen können, als der Empfang Ihres Briefes, der mich berechtigt, mich Ihrer Freundschaft ganz, rückhaltlos zu erfreuen. Das kräftig geistige Leben, das alle Gestalten in Ihrem Armin athmen, der rhythmische Schwung der Sprache, die hohe Begeisterung darin, Alles hat mich mächtig erregt und ließ mir des Autors Bild recht lebendig vor die Seele treten, ganz so, wie es mir zuerst hier (3) „in Mitte göttlicher Bekannten” erschienen war, wie ich es seitdem so freudig in meinem Innern trug, aus dem ich es nur mit tiefstem Schmerz würde verbannt haben, hätte ich gemußt. Ihr Brief sagt mir, daß es mir bleiben darf; er enthält nichts, das mich befürchten ließe, es könnte je wieder eine unheimlich folternde Spannung eintreten, die (wie hier beim Quartett, als sonst klingende Saiten rissen) mit dem Zerstören innerer Harmonien aufhörte.
Dank Ihnen dafür!
Ich sehe nun meinem Besuch in Berlin mit großer Freude entgegen, wo ich am 13ten dieses zuerst einmal vor das Publikum treten soll. (4) Schon morgen reise ich dahin ab und werde also wenige Stunden nach diesem Brief bei Ihnen besuchend eintreffen, um Ihnen recht viel von unseren Weimaraner Freuden und Leiden seit Ihrer Abreise zu erzählen.
Auf ein fröhlich Wiedersehen
Joseph Joachim.
(1) Armin. Ein Drama in fünf Aufzügen. Leipzig 1851.
(2) Gisela von Arnim, später Herman Grimms Gattin.
(3) Über das erste Zusammentreffen Grimms mit Joachim bei Bettina von Arnim im “Elephanten” zu Weimar siehe Grimms Fünfzehn Essays 3 Folge S. 283; auch die Briefe Bülows an seine Mutter aus jener Zeit.
(4) In einem Konzert des Sternschen Gesangvereins; vgl. Moser I 128 f.
To Herman Grimm
Weimar Dec. 10, 1852
Dear Grimm!
After reading your Armin (1) with your girlfriend (2), I could have encountered nothing more joyful than receiving your letter, which permits me to enjoy your friendship completely and without reservation. The vigorous spiritual life that all the characters breathe in your Armin, the rhythmic energy of the language, the high enthusiasm in it — everything excited me powerfully and made the author’s image come alive to me, just as it first appeared to me here (3) “in the midst of divine acquaintances,” as I have since carried it so joyfully within me, from which I would only have banished it with the deepest pain, if I had had to. Your letter tells me that it may remain with me; it does not contain anything that should make me fear that there could ever again occur a sinister, tormenting tension that ceased [sic] with the destruction of inner harmonies (as here with the quartet, when otherwise-resounding strings break).
Thank you for that!
I am now looking forward with great pleasure to my visit to Berlin, where on the 13th of this month I shall for the first time appear in public. (4) I leave for there already tomorrow, and will arrive a few hours after this letter to tell you a great deal about our Weimaraner joys and sorrows since you left.
Looking forward to a joyous reunion,
Joseph Joachim.
(1) Armin. A drama in five acts. Leipzig 1851.
(2) Gisela von Arnim, later Herman Grimm’s wife.
(3) For Grimm’s first meeting with Joachim at Bettina von Arnim’s rooms at the Hotel Elephant in Weimar, see Grimm’s Fifteen Essays 3 Series p. 283; also Bülow’s letters to his mother from that time.
(4) In a concert by the Stern Gesangverein; see. Moser I 128 f.
Joachim/BRIEFE I: 37-38
An Joseph Joachim
Berlin am 4. Februar 1853.
Lieber Joachim.
Es ist spät abends. ich saß vorhin bei der Bettine, es waren mehr leute da, unten im hause ward clavier gespielt und eine geige klang dazu, ich konnte nichts erhorchen, aber ich bekam einen ekel vor dem sprechen, das um mich herum war, ihre weimarsche stube fiel mir ein mit den reben vor dem Fenster und ich sehnte mich dahin, nach einer milden frühlingssonne durch die blätter und ein paar tönen von Ihrer geige. da wäre es eine lust nachzudenken. ich schriebe jetzt so gern vieles auf, das mir gewiß nie wieder so klar durch die seele geht, aber es ist ein solches geräusch von menschheit tagtäglich um mich her, daß wenn ich endlich allein bin, mir doch die ohren davon klingen, bis ich wieder hinein zurück muß. ich begreife nicht, daß ich es noch so aushalte und nicht verwirrt darüber werde.
warum schreiben Sie mir nicht? ich erinnere Sie nicht an das versprechen auf der wirthshaustreppe, denn dergleichen vergißt sich. Aber ich denke, wir kennen uns zu wenig um so lange zu schweigen und zuviel, um wieder abzubrechen. es soll dies keine mahnung sein, vielleicht aber (ich denke mir die möglichkeit) hätten Sie mir geschrieben und fanden keinen anfang zum briefe.
frau von Arnim und Giesela sind seit vorigen sontag hier, bis jetzt aber gelang es mir noch nicht völlig das netz zu durchbrechen, in das ich mich seit ihrer abwesenheit geworfen; die ansprüche vieler leute auf meine abende. bald hoffe ich kommen ruhigere zeiten. sie sind beide wohl. Armgard kommt erst in einer woche. die Giesel hat mir auch erzählt, Sie hätten während Ihrer anwesenheit hier so gern über manches mit mir gesprochen, der Bettina aber gelobt dies zu unterlassen. ich gestehe, daß ich begreife, wie Sie das versprechen konnten, aber nicht, daß Sie es hielten.
leben Sie wohl
Ihr
Herman Gr.
Lincksstraße 7.
Hotel Les Trois Rois in Basel
Joachim/BRIEFE I: 82-83
An Herman Grimm
Basel, am 7ten Oktbr. [1853]
Es ist vielleicht ein besonders günstiges Omen, daß ich Ihnen zuerst aus der Schweiz einmal einen schriftlichen Gruß sende; es mag aufrecht freien, aufrichtigen Verkehr deuten! Seit gestern Abend bin ich hier, in Basel, mit Liszt Wagnern zu besuchen. Der Rhein zieht gar majestätisch ruhig mit seinen blaugrünen Wogen vor den „Drei-Königs” Fenstern hinab zu Heben Freunden (1); es ist mir recht heiter in der Seele, nach allem Geräusch von dem eben beendeten Musikfest in Karlsruh mit dem bunten Menschen- und Töne-Wechsel mir selbst wieder einige Augenblicke anzugehören. Ich denke an gute Dinge und ernstlich daran, einen schon seit Monaten, in Göttingen, gefaßten Entschluß auszuführen, Sie in Berlin zu besuchen. Es ist mir, als müßten wir uns erst wieder sehen, um dann desto enger auch in der Ferne einander anzugehören, und ich freue mich, daß mir meine Zeit bald einen Ausflug nach der Links-Straße gestatten wird. Sie werden mich, glaube ich, verändert finden. Sie haben ein arbeitsames Jahr hinter sich, seit dem Weimar’schen Herbst! Wenn ich es Ihnen auch nicht schrieb, Sie haben doch hoffentlich nie einen Augenblick gezweifelt, mit welcher Theilnahme ich in mich aufnahm, was ich von Ihren Arbeiten erlangen konnte. Namentlich hat der Demetrius großen Eindruck auf mich gemacht, in seiner seelischen Wahrheit. Der Spur unserer innerlichen Erlebnisse nachzugehen bis auf ihren geheimsten Ursprung, scheint auch mir die edelste Aufgabe des Dichters, und, wenn ich auch nicht mit gleichem Erfolg in Tönen dasselbe versucht habe, freut mich doch die gleiche Neigung. — Nehmen Sie diesen flüchtigen Gruß einstweilen freundlich an !
Auf ein baldig Wiedersehen
Joseph Joachim.
(1) Arnims, die gerade in Bonn weilten.
Hotel Les Trois Rois in Basel, Suite Napoleon
To Herman Grimm
Basel, 7 October 1853 [Friday]
It is perhaps a particularly auspicious omen that my first written greeting to you comes from Switzerland; it might foretell free, candid relations. I have been here in Basel since yesterday, with Liszt, to visit Wagner. The Rhein flows so majestically and peacefully, with its blue-green waves, before the “Three Kings’s” windows — down to dear friends; it puts me in quite a cheerful mood to belong to myself again for a few moments, after all the noise of the just-ended music festival in Carlsruhe, with its colorful diversity of people and sounds. I think on good things, and think seriously of carrying out a resolution that I made months ago in Göttingen to visit you in Berlin. It seems to me that we would need first to see one another again to belong more closely to one another at a distance, and I am glad that my schedule will soon allow me a foray to the Links-Strasse. I believe you will find me changed. You have a hard-working year behind you, since that Weimar Fall! Even if I haven’t written it to you, I hope you have never doubted for an instant the sympathetic interest with which I have assimilated what I could glean from your work. Your Demetrius has made an especially great impression on me, owing to its spiritual truth. To track our inner experiences to their most secret source also seems to me to be the noblest role of the poet, and if I have not had an equal success attempting the same thing in tones, I nevertheless rejoice in the same inclination. — In the meantime, kindly accept this passing greeting.
Goodbye until soon!
Joseph Joachim
(1) The Arnims, who were then in Bonn.
Joachim/BRIEFE I: 94-95
An Herman Grimm
[Oktober 1853.]
[Anfang fehlt].
. . . welches das Nachfühlen stört, so muß ich Ihnen Recht geben: es ist dies aber leider ein Fehler, der nicht nur an ihm, sondern an den meisten nach-Beethoven’schen Tondichtern zu finden wäre, ja in noch höherem Grade als bei Bargiel. Sie bemühen sich alle seit Beethoven (im besten Fall!), ihrer Seele eine charakteristische Seite abzulauschen, und ist diese glücklich erlauert, so bemühen sie sich dann diese auszubeuten: es wird die Zwangsjacke, mit der sie jeden Gedanken uniformiren — statt vielmehr ihr Sein frei und ungezwungen wie den Gang seiner Entwickelung zu geben. Beethoven, der trug oft wochenlang ein Thema in sich, bevor es ihm ganz Ausdruck seiner Stimmung geworden war: das merkt man aber auch dann bei der Durchführung seiner Gedanken! So ein Thema kömmt dann in den wunderbarsten Versetzungen wieder — aber es ist nicht Willkühr! man fühlt wirklich, daß es mit dem Meister all das erlebt hatte, daß es sein steter Freund und Begleiter gewesen war. Daher die Sympathische Wirkung — ich möchte eine Psychologie der Töne schreiben können ! . . .
[Schluß fehlt.]
Joachim/BRIEFE I: 122-124
An Herman Grimm
[Hannover] 11. Dez. [1853].
Lieber Grimm
Sei mir nicht böse, daß ich so lange nicht geschrieben, während Du mir so freundschaftlich wegen des Wohnens entgegenkamst. Ich “hasse” das Tintenfaß nicht, wenn es gilt Dir zu schreiben, aber es ist leider wahr — ich bin ein Geiger, wenn auch kein großer, und leider in diesem Moment auch Concertmeister, der vorgestern das erste seiner öffentlich unter seiner Leitung stehenden Concerte besorgte, und heute eins bei Hofe einzurichten hat. Das Übrige kannst Du Dir denken. Aber die Pein kennst Du nicht, eine beständige Musik im Innern zu haben, wie ich jetzt Deinen Demetrius, und dabei gezwungen zu sein, die durch andere fremde zu verdrängen, in Proben u. s. w. Das grenzt an Inquisitions-Tortur! So muß es einer Mutter zu Muth sein, der man ihr jüngstes, liebstes Kind von der Brust reißt um ihr eins aus Feindesland dran zu legen. Dabei verstehn die Leute nicht, wenn man nicht immer einer Tänzerin lachend Antlitz ihnen zuwendet!
Nun wegen Weihnachten und meines Kommens dazu: ich bin noch gar nicht gewiß, ob ich meinen Plan, die lockende Fahrt nach Berlin zu unternehmen, ausführen kann. Es wird alles davon abhängen, ob ich die ganze Demetrius-Ouverture, von der noch wenig auf dem Papier, aber fast das Ganze im Kopfe steht, in dieser Woche aufzeichnen kann oder nicht, denn vom 17ten an muß ich wieder 5 Tage einem vor langer Zeit gegebenen Versprechen opfern, in Köln und Elberfeld Violine zu spielen. Das ist schrecklich! Werde ich aber in dieser Woche nicht fertig, so würde ich dann Weihnachten mit dem Orchester in mir, das heraus auf Noten will, keine Freude und nur Unruhe haben und verbreiten, währenddem ich gerade hier um die Zeit köstlich ungestört schreiben könnte. Laß mich also noch ein paar Tage, ohne daß ich bestimmt zusagen muß. Herrliche Tage gab’ es freilich, wenn ich nach Berlin könnte — ein fortwährend Lichterbrennen in Kopf und Herz! Für alle Fälle danke Deinen Eltern in meinem Namen aufs herzlichste; es freut mich innig, daß sie mir theilnehmend gesinnt sein wollen, und ich bin wirklich stolz Euer Gastfreund zu sein.
Wegen der Ouvertüre bitte ich Dich noch nichts zu sagen, daß sie aufgeführt werden soll; bevor ich sie nicht gehört habe (was am 5ten Januar hier in einer Probe sein wird), gebe ich sie natürlich nicht zum Stück her. (1) Ich möchte nichts verderben. Aber fertig wird sie, und ich freue mich auf’s Aufschreiben, denn ich habe zum ersten Mal aus vollem Guß ein Werk entworfen. Zwei Motive treten auf und kreuzen sich, das eine im Blech (das war nicht zu vermeiden), das andere im Quartett: das letztere tritt eine Weile gedämpft zurück, wie aufhorchend — aber übel verstellt bricht es mit neuer Heftigkeit hervor, immer rascher, leidenschaftlich und beherrscht dann das Allegro. Es wird nur rhyth- misch schwierig auszuführen sein: den deutschen Orchestern gebricht es in der Regel an genauer Empfindung des Rhythmus. (2) Vielleicht klingt auch das ganze Ding, wenns fertig ist, gräulich. Dann muß der gute Wille, an den Du denken wirst, die ganze Dissonanz auflösen.
Adieu
Dein Joachim.
Grüße Fräulein Giesela.
(1) [Am Rand:] überhaupt nur, wenn die von Bargiel nicht besser ist. Ich hätte ihm geschrieben, daß ich auch eine Ouv. componire, wenn mich nicht die merkwürdige Antwort, die er Dir gab, gestört hatte.
(2) Vgl. J.s Brief vom 16. Nov. 54 an Liszt.
Joachim/BRIEFE I: 127-128
An Joseph Joachim
Berlin, 13 Dec. 1853.
Lieber Joachim
. . . mit dem kommen halte es nach deinem belieben, das wenige, was wir dir anbieten, d. h. das bett und die Stube und der warme ofen, laufen dir nicht fort, aber etwas andres must du wissen, Arnims gehn vielleicht über das fest auf das land, und du fändest dann kaum 10 procent des erwarteten Vergnügens, verzeih die prosaische art mich auszudrücken, mir würde es sehr leid thun, wieder einsamlich hier umherzulaufen, allein die beschlüsse sind in dem hause so wandelbar, daß man sich auf nichts bestimmte rechnung machen kann.
Bülow ist wieder fort, er hat hier einen entschieden vortheilhaften eindruck gemacht und er thut unrecht ihn nicht auszubeuten, (da er ja doch einmal in dieser art und weise die dinge betreibt.) er war mit den Zeitungen unzufrieden, und wollte mir nicht glauben, daß es hier anders ist wie in kleinen Städten, in denen sich ohne Zeitungen keine öffent- liche meinung bildet: hier laufen sie ganz nebenher und kein mensch giebt etwas auf ihr lob oder tadel, und das ist auch gut.
auf die Ouvertüre freue ich mich und habe gar keinen zweifel, daß sie mir gefallen wird, instrumentire nur die grundmotive recht klar, mir kommt vor, als wäre es jetzt zu sehr mode, mit dem rein melodiösen gleich von vorn herein eine frappante Stellung der instrumente zueinander zu verbinden, doch ich verstehe nichts davon, und das sage ich in allem ernste, ich verstehe wirklich nichts davon, nur das weiß ich, daß überall der gedanke höher gilt als der ausdruck. das höchste ist freilich eine Vereinigung beider wie bei schön gewandeten Statuen, wo das verhüllende faltenwerk wie zu einem theile des durchleuchtenden körpers wird und beides getrennt gar nicht zu denken wäre.
deine grüße bringe ich der Giesel heute abend. Liszt hat ein buch geschickt von Hoplit (1) mit einem französischen briefe von sich darin, ich will zu seiner ehre glauben, daß er sich ohne die fürstin nie so weit verirrt haben würde, wie kann man so die achtung, die man doch unverletzlich vor sich selbst haben muß, dem publicum preisgeben, die allgemeine stimme war gegen das fest, er nennt diese meinung des publicums eine Schlafmütze und appellirt doch an dies selbe publicum, als wenn ich zu einem sagte: „du bist zwar ein schuft, aber du sollst diesmal über meine ehre urtheilen, ” es giebt nur ein mittel sich am publicum zu rächen, aber nicht indem man altes vertheidigt sondern mit neuem überrascht, doch sie urtheilen vielleicht anders in Weimar und ich bescheide mich mit meinem berliner Standpunkt.
verzeih meine Schmiererei, es ist ein langer mißlungener versuch, meiner feder eine zeile abzugewinnen, mit der ich sie zum gutschreiben zwänge, sie ist so hartnäckig als ich, und das resultat bleibt kein entzückendes.
lebwohl
Dein Herman Gr.
ich schreibe schon an einem neuen stück, das giebt wieder eine Ouvertüre für dich.
(1) Richard Pohl’s brochure about the Karlsruhe music festival.